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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe
Autoren: Kerstin Michelsen
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Politszene rechnen mit einem Erdrutschsieg für den gebürtigen Erzfelder bei der Wahl zum Oberbürgermeister im kommenden Monat. Nun zum Sport …“
    Ich war sofort hellwach, langte nach der Fernbedienung und schaltete das Gerät aus. Offenbar war der Aufstieg des John van der Brelie unaufhaltsam. Wie machte der das nur? Es hätte mich nicht gewundert, wenn dieser Mann auch bei dem Rücktritt seines Vorgängers seine Finger mit im Spiel gehabt hätte. Aber was machte das noch für einen Unterschied? Der Typ ging über Leichen. Wenn es irgendwie in meiner Macht stand, dann würde ich dafür sorgen, dass er über Yasmines Leiche stolperte und fiel. Je tiefer, desto besser.
    Wir mussten nicht lange warten. Zwar nicht wie versprochen am Montag, dafür am Dienstag, kam die erhoffte Nachricht von Jessie: Am Donnerstagabend erwartete der Starfriseur Udo Schweizer den Stadtrat in seinem Salon. Gebucht war wieder das komplette Programm inklusive Maniküre, darum musste auch Jessie länger arbeiten. Das Waschen der Haare vor dem Schnitt gehörte ebenfalls zu ihren Aufgaben. Der Meister schritt natürlich erst danach zur Tat. Dieser Umstand war für unseren Plan von entscheidender Bedeutung.
    Bis auf Weiteres wohnte ich bei Franka. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, da es in ihrer kleinen Behausung durch mich noch enger und chaotischer wurde. Doch als ich anbot, in eine Pension oder ein Hotel zu ziehen, lachte sie nur. Abends war Franka ohnehin fast immer unterwegs. Zur Arbeit fuhren wir sicherheitshalber getrennt. Auf dem Rückweg fuhr ich weiträumige Umwege, um sicherzugehen, dass mir niemand folgte. Vielleicht war das übertrieben, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen . Schließlich ging es jetzt nicht mehr nur um mich, sondern auch um Franka. Wenn ich abends allein in ihrer Wohnung war, legte ich mich manchmal auf das Sofa und schloss die Augen, um eine Verbindung zu Yasmine herzustellen. Doch nichts geschah. Sie fehlte mir so sehr, dass ich fast versucht war, in das Loft zurückzukehren, nur um zu sehen, ob sie noch dort war. Aber dann ließ ich es doch bleiben.
    Ich tat, was ich konnte, um ihr zu helfen. Sie sollte endlich ihren Frieden finden, auch wenn das vielleicht bedeuten würde, dass sie für immer verschwand. Ich wusste, dass es das Richtige war. Wenn ich jetzt in Gefahr geriet, hatte Yasmine auch nichts davon. Also blieb ich der Wohnung fern.
    Am Donnerstagabend postierten Franka und ich uns in Sichtweite des Salons. Der Sicherheitsabstand, den wir einhielten , war so groß, dass wir von Johns Ankunft um kurz nach acht Uhr nicht mehr mitbekamen, als dass zwei dunkle Limousinen hielten und ein paar Männer ausstiegen. Sie verschwanden im Salon. Man konnte von der Straße aus nicht weiter hineinsehen als bis in den Empfangsbereich. Die Diskretion, die Udo Schweizer seinen prominenten Kunden bot, war vermutlich genau der Grund, warum sie ihn gern aufsuchten. Ganz davon abgesehen, dass es einfach als schick galt, Kunde von Udo Schweizer zu sein. Da es nicht viel brachte, auf die Fassade des Gebäudes zu starren, zogen Franka und ich uns in das kleine italienische Restaurant zurück, das um die Ecke lag. Jessie sollte dort später zu uns stoßen. Ich spendierte uns eine Pizza und eine Flasche Wein. Wir saßen bei dem letzten Glas, als Jessie endlich die Tür des Restaurants aufstieß. Franka sprang auf und winkte.
    „Jessie! Hier!“
    In ihrer Aufregung rief sie so laut, dass nahezu alle Gäste die Köpfe herum rissen und sie anstarrten. Jessie winkte zurück und schlängelte sich an den anderen Tischen vorbei. Noch im Gehen zog sie ihre Jacke aus und ließ sich dann neben Franka in unsere Sitznische fallen.
    „Puuh, Leute, der war vielleicht sauer.“
    Sie lachte, so schlimm konnte es also nicht gewesen sein.
    „Wer, der Arsch? War es so schlimm?“
    „Nee, der Udo war sauer. Ich hab tüchtig gezogen, als ich mit dem Handtuch zugange war, abtrocknen und so. War vielleicht ein bisschen doll, ich hab so ein Büschel zu fassen gekriegt. Hier.“
    Sie zog ein Stück Toilettenpapier aus der Tasche ihres Rockes. Der saß so eng, dass es einen Moment dauerte, ehe sie die Finger ganz hineingezwängt hatte. Dann reichte sie mir mit feierlicher Miene das weiche, zerknitterte Päckchen. Ich faltete es vorsichtig auseinander und blickte auf eine dunkle Haarsträhne. Wir hatten es geschafft!
    „Mit Wurzel, garantiert. Hattste doch gesagt. Wundert mich, dass nicht noch Kopfhaut dran ist, der hat voll geschrien“, sagte
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