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Nora Morgenroth: Die Gabe

Nora Morgenroth: Die Gabe

Titel: Nora Morgenroth: Die Gabe
Autoren: Kerstin Michelsen
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Minuten nach der Entdeckung des fehlenden Laptops stand ich an der geöffneten Wohnungstür. Ich bückte mich, um das Schloss genauer in Augenschein zu nehmen. Als ich vorhin gekommen war, war mir nichts aufgefallen. Selbst bei genauerem Hinsehen konnte ich nichts entdecken, was auf einen Einbruch hinwies. Musste es nicht Spuren geben, wenn jemand gewaltsam eingedrungen war, wenigstens ein paar Kratzer?
    Ich trat ins Treppenhaus und schloss die Tür. Während ich den Schlüssel zweimal, anstatt wie sonst nur einmal, im Schloss herum drehte, dachte ich, wie nutzlos das vermutlich war. Ich sollte das Schloss austauschen lassen, doch jetzt wollte ich erst einmal nur fort. Wenn ich an den stinkenden Bart an meiner Wange dachte, wurde mir schlagartig übel. Ich konnte nicht wissen, wie weit sie gehen würden. Das mit dem Laptop machte meine Situation nicht besser. Jetzt wussten sie – er? – was ich wusste. Das konnte gut oder schlecht für mich sein, ich befürchtete, eher schlecht. Von mir ging für John van der Brelie eindeutig eine größere Gefahr aus als von der Polizei. Denn die hatten keine Beweise, waren einmal aufgetaucht mit ihren Fragen und unverrichteter Dinge abgezogen. Vielleicht dachten diese Typen sogar, dass ich mehr wusste als die Polizei. Dann würden sie vermutlich wieder kommen. Bei Franka war ich fürs Erste in Sicherheit.
    Auf den Fahrstuhl verzichtete ich. Um nichts in der Welt hätte ich mich jetzt in die enge Kabine gezwängt. Sie kam mir vor wie eine Falle.
    Unten angekommen sprintete ich durch das Erdgeschoss und lief, ohne nach rechts oder links zu sehen, zum Wagen. Ich sprang hinein, drückte die Verriegelung hinunter und fuhr los. Ich durchquerte die Stadt, indem ich die Hauptstraßen mehrmals verließ und Umwege durch verkehrsberuhigte Wohngebiete machte. Einmal bog ich falsch in eine kurze Einbahnstraße ein, die zum Glück gerade niemand durchfuhr. Dann nahm ich die Autobahn in Richtung Vallau. In der Stadt drehte ich um und fuhr zurück. Auf dem Rückweg verließ ich die Autobahn zwei Mal, um auf einsamer Landstraße zu kontrollieren, dass mir niemand folgte. Erst als ich vollkommen sicher war, dass weit und breit kein anderes Fahrzeug hinter mir zu sehen war, kehrte ich auf Umwegen nach Erzfeld zurück.
    Falls die Typen nicht ohnehin schon von Franka wussten, dann hatte ich sie abgeschüttelt. Zum Glück war Franka amtlich noch immer bei ihren Eltern in einem kleinen Kuhdorf nahe Frankfurt gemeldet, schön weit weg. Das Souterrain bewohnte sie nur inoffiziell zur Untermiete, wie sie mir einmal erzählt hatte. Nicht einmal der Vermieter wusste davon, aus Gründen, die ich wieder vergessen hatte. Wenn man mir nicht direkt folgte, war Franka kaum ausfindig zu machen.
    Gegen vier Uhr stellte ich den Wagen drei Straßen weiter ab und schleppte meine Tasche zu Frankas Wohnung. Ich stieg die vier Stufen hinab und klopfte. Es dauerte etwas, dann öffnete sie, verschlafen und zerknittert.
    „Schon so spät?“
    Sie blinzelte an mir vorbei in die Frühlingssonne.
    „Ach nein, tut mir leid, dass ich dich schon wieder geweckt habe. Ich konnte nicht zuhause bleiben. Kann ich reinkommen?“
    „Klar.“
    Sie schlurfte in die Küche , ich folgte ihr.
    „Hey, danke fürs Putzen. Ist nicht so mein Ding. Aber das hättste nicht machen müssen.“
    „Ich weiß, aber ich habe es gern gemacht.“
    „Und jetzt? Was ist passiert?“
    Ich berichtete von dem verschwundenen Laptop und was das bedeutete, da ja die Fotos aus der Polizeiakte darauf waren. Sie rieb sich die Augen und sah mit einem Mal hellwach aus.
    „Echt, Scheiße jetzt. Was für ein blöder Wichser. Warte mal ab, wenn wir erst mit dem fertig sind.“ Dann stockte sie. „Was ist mit deinem Handy, hast du das noch? Sind die Fotos noch drauf? Sonst sind wir am Arsch.“
    Ich steckte meine Hand in die Hosentasche, holte das Gerät hervor und legte es auf den Tisch.
    „Puuh. Schwein gehabt. Das speichern wir jetzt erstmal . Und dann sage ich dir, was wir machen werden. Du wirst sehen, der Wichser ist dran.“
    Eine halbe Stunde später hatte Franka die Fotos nicht nur auf ihrem eigenen Laptop gespeichert, sondern sie auch noch verschlüsselt auf einen Server im Internet hochgeladen. Der stand auf den Malediven oder sonstwo, so ganz hatte ich das nicht verstanden. Es war auch egal, niemand außer Franka würde die Fotos dort finden. Ich sah bewundernd zu, wie ihre Fingerspitzen mit den neonpink lackierten Nägeln über die Tasten tanzten und
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