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Nooteboom, Cees

Nooteboom, Cees

Titel: Nooteboom, Cees
Autoren: Briefe an Poseidon: Essays
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lange nach jemandem gesucht, dem ich schreiben könnte, wie aber schreibt man Briefe an einen Gott? Das ist ganz einfach, man tut es nicht, und man tut es doch. Über einen Umweg. Was man schreibt, läßt man am Strand zurück, auf einem Felsen am Meer, in der Hoffnung, daß er es findet. Es werden Dinge sein, die ich lese, die ich sehe, die ich denke. Die ich mir ausdenke, an die ich mich erinnere, über die ich staune. Berichte aus der Welt, wie der von dem Mann, der eine Tote heiratete. Vielleicht findest dusie, vielleicht werden sie weggeweht. Ich habe sie geschrieben, weil ich dachte, es könnte sein, daß du noch etwas von der Welt wissen willst. Was danach geschieht, weiß ich nicht, ich weiß das nie. Ich kann es mir allenfalls ausdenken. Auf eine Antwort kam es mir nie an. Was ich mich immer gefragt habe: Wie war es, als niemand mehr zu euch betete, niemand mehr etwas erbat? Irgendwann muß es einen letzten gegeben haben. Wer war das? Wo? Habt ihr darüber gesprochen? Wir betrachten eure Statuen, doch darin seid ihr nicht. Wart ihr eifersüchtig auf die Götter, die nach euch kamen? Lacht ihr jetzt, da auch sie allein gelassen werden?

Trauung mit einem Hut
    I n einem kleinen Dorf in Südfrankreich hat ein achtundsechzigjähriger Franzose eine Frau geehelicht, die kein Alter mehr hat, denn sie ist tot. Sie hatten zwanzig Jahre zusammengelebt und wollten nun heiraten, doch sie erkrankte vorher und starb. Zur Hochzeit mit der Toten, zu der der französische Präsident seine Genehmigung erteilt hatte, brachte der Mann ihren Hut mit. Im Golem von Gustav Meyrink denkt der Held die Gedanken desjenigen, dessen Hut er trägt. Was dachte der Hut der Frau an ihrem Hochzeitstag? Es waren Dutzende von Gästen eingeladen. Hat der Hut sie erkannt? Und was sagte er zu dem Mann, als sie wieder allein zu Hause waren?

Belagerung
    I m Prado, in einem der oberen Säle des neuen Anbaus, ein Gemälde von Pieter Snayers. Es sind keine anderen Besucher zugegen, dadurch wirkt die Stille, die auf diesem Gemälde herrscht, noch viel stärker. Draußen sind es fast vierzig Grad, doch in dem Gemälde hat es geschneit, ich spüre den Schnee an meinen Füßen. Es ist das Jahr 1641. Wir sind Spanier, unser Krieg mit Frankreich dauert bereits sechs Jahre und wird weitere achtzehn Jahre dauern. Wir stehen auf einem hohen Hügel und schauen auf die Ebene hinunter und auf den Stadtkern und die Außenmauern von Aire-sur-la-Lys. Unser Blick reicht bis zum Horizont, ein tiefgelegener Streifen bläulichen Landes, und darüber das nördliche Licht und die Wolken, wie nur diese fernen Länder sie kennen. Unsere eigene Sprache klingt fremd in dieser Umgebung, in unserer Nähe einige kahle Bäume, ein paar Hunde. Wir sollen den Ort zurückerobern und werden das auch tun. So steht es in den Büchern. Links unter uns die Truppen in jenen unwirklichen Minuten der Stille wie vor jeder Schlacht. Ganz unten der unsichtbare Feind, der auf uns wartet. Derjenige, der uns später betrachtet, entrückt uns, ohne unsere Namen nennen zu können, für einen Augenblick dem Tod, doch unsere Gedanken jenes Tages behalten wir für uns. Was er sieht, ist Geschichte oder Kunst oder beides. Aber er weiß nichts von dem Atem, der an jenem Morgen aus unseren Mündern drang, nichts von dem Geschrei der Krähen, von den Hufen der Pferde auf dem gefrorenen Boden.

Bayreuth
    E s geschieht jeden Sommer, so sicher wie Wimbledon und die Tour de France. Plötzlich wehen deutsche Klänge in meinen mediterranen Garten. Sie sind noch scheu, wissen nicht, ob sie willkommen sind. Bläser, hohe, laute Stimmen, Pauken. Es ist, als tasteten sie die Umgebung ab. Ich spüre, wie alles in meinem Garten auf der Hut ist, sich zur Wehr setzt. Die Palmen, der Hibiskus, die Kakteen, der Papyrus, Pflanzen, die in den kalten Nebeln des Nordens eingehen würden. Doch die Musik hat kein Mitleid, sie genießt ihre Macht. Ich höre die langgedehnten germanischen Klänge, die Heerestöne des Chors, das Schneidende dieser anderen Sprache, die Jagdklänge der Hörner, das Anschwellen eines großen Orchesters, den Verrat Tristans, der Isolde seinem König ausliefern wird, ihre Wut, das Geschrei dieses Grams, der als Gesang verkleidet über das helle Lila des Bleiwurz fegt, durch die Bougainvillea tost wie ein plötzlich aufkommender Sturm, der violette Flecken auf dem Boden hinterläßt. Heimatlos sitze ich mittendrin, ein nördlicher Gärtner unter den Oleastern, gefangen in der Widersprüchlichkeit
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