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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen
Autoren: Michael Siefener
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nördliche Richtung wegführt.
Er stellt zwar einen kleinen Umweg dar, man kommt westlich des
Eingangs heraus, aber er ist in der Tat völlig asphaltiert,
und daher war es angenehmer, dort entlangzugehen als durch den
Schlamm.
    Kurz vor dem kleinen jüdischen Friedhof entdeckte ich am
Wegesrand ein interessantes Mausoleum, dessen kniehohes,
verrostetes Gitter offenstand und den Blick auf eine bemooste
Steinbank freigab, hinter der zwei Bronzeplatten in die Wand
eingelassen waren. Einen Zugang zu einer Grabkammer gab es nicht.
Große Spinnwebnetze hingen an den Innenwänden, und ich
trat ein, um das Ende des Regenschauers abzuwarten.
    Als er endlich aufgehört hatte, ging ich weiter. Erst am
Tor bemerkte ich, daß irgend etwas auf dem Weg meine
Aufmerksamkeit erregt hatte. Zunächst dachte ich, ich
hätte in dem Mausoleum unbewußt etwas Seltsames
wahrgenommen, und so untersuchte ich es am folgenden Morgen sehr
genau, bevor ich mit meiner Arbeit begann. Aber es gab nichts
Außergewöhnliches. Aus dem steinernen Dach
sprießt ein kleiner Baum, fragen Sie mich nicht, was es
ist, ich habe von Botanik keine Ahnung, es sieht aber sehr
pittoresk aus. Doch es war nicht dieser Anblick, der mich stutzig
gemacht hatte, da war ich mir sicher.
    Nach Feierabend ging ich daher noch einmal denselben Weg
zurück, obwohl es nun nicht mehr regnete, und ich ließ
meinen Blick über die Gräber schweifen. Auf dem
Ehrenfelder Teil, also schon nahe dem Ausgang, entdeckte ich auf
einem Querweg das Grab von vier Nonnen. Ich mutmaßte,
daß es dieses Grab war, das meine Phantasie angeregt hatte.
Es haftete ihm jedoch nichts Seltsames oder Rätselhaftes
an.
    Es ist ein breites Grab mit einem Steinkreuz, an dem ein
bronzener Christus hängt, und auf dem Schaft ist eine
Marmorplatte mit den Namen der Nonnen angebracht, ihren Ordens-
sowie ihren Geburtsnamen. Zu beiden Seiten des Steins erstreckt
sich ein schmiedeeisernes Gitter, und das Grab ist mit Efeu und
Stiefmütterchen pflegeleicht bepflanzt.
    Ich ging vorüber, nahm es wahr, fand es interessant, aber
ich glaubte nicht, daß es der Grund meiner leichten
Irritation gewesen war. Zu Hause jedoch erinnerte ich mich daran,
daß das Todesjahr bei allen vier Schwestern gleich gewesen
war; ein genaues Datum ist nicht angegeben.
    Der nächste Morgen sah mich wieder vor dem Grab stehen.
Es trägt die folgende Aufschrift – ich kenne sie
auswendig:
     
    Ruhestätte der armen Schwestern vom hl.
Franziskus
Schw. M. Hildemarga Elisabeth Laux 1896-1975
Schw. M. Simperta Therese Kuntz 1899-1975
Schw. M. Almira Elisabeth Zorf 1897-1975
Schw. M. Vigilia Elisabeth Gerber 1881-1975
     
    Sie werden sich nun fragen, was daran seltsam sein soll. Ich
wußte es zuerst auch nicht. Ich war nicht sicher, ob es
diese Grabstelle war, die mein Unterbewußtsein so
beschäftigte. Kennen Sie das Gefühl, wenn man sich an
etwas genau zu erinnern glaubt, es aber doch nicht fassen kann?
Es macht einen nervös, und so nervös lief ich an jenem
Morgen auf dem Friedhof umher. Ich kehrte zu dem verrotteten
Mausoleum zurück, doch es war leer, keine Träume, keine
Rätsel, kein totes Leben. Nein, je mehr ich während der
Arbeit darüber nachdachte, desto deutlicher wurde mir,
daß das Nonnengrab der Auslöser für meine Unruhe
war. Ich hatte keinen Beweis dafür, daß die vier
Nonnen am gleichen Tag gestorben waren, denn es war ja nur das
Jahr angegeben. Aber seltsam war es doch, denn schließlich
war ihr Alter sehr unterschiedlich gewesen; die älteste
starb mit 94 Jahren, die jüngste mit 76 Jahren; ein
ziemlicher Unterschied.
    Was war geschehen, wenn es wirklich derselbe Tag war? Ein
Unglück? Ein Feuer vielleicht oder einstürzende
Gebäudeteile? Meine Phantasie gaukelte mir ein zerfallendes,
uraltes Klostergebäude vor, weinberankt, mit Löchern in
den Mauern, zugigen Zellen, einer feuchten Bibliothek, beherrscht
von einer asthmatischen Nonne, eine salpeterfleckige Kirche,
durch die der dünne Gesang brüchiger Stimmen hallt, und
als ich all das sah, wußte ich, daß ich wieder vor
einem Rätsel stand, das sich meinem Geist
aufdrängte.
    Ich nahm mir vor, etwas über die Nonnen und ihr Ende
herauszufinden. Sie mögen darüber lachen, und
schließlich gingen mich diese fremden Menschen ja auch gar
nichts an, aber wenn man allein lebt, schafft man sich die
sonderbarsten Hobbys an. Manche gehen mit ihrem Hund spazieren,
manche in die Kneipe oder ins Bordell,
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