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Nonnen

Nonnen

Titel: Nonnen
Autoren: Michael Siefener
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Sternen kämpften; am Tag war das Haus
mit bunten Platten bedeckt, doch im Dunkeln war die Farbe
verschwunden, die vielen Lichter der Autos, die über kahle
Bäume und brüchigen Asphalt hüpften, das Brausen
und die Nacht hielten ihn geborgen. Er freute sich jedesmal
darauf, zurückzukehren zu seinen Eltern, bei denen er bis zu
ihrem Tod gewohnt hatte, dann hatte er die Wohnung aufgelöst
und war in einen anderen Stadtteil gezogen, die Erinnerungen
waren zu furchtbar gewesen, und seine Mutter würde ihm ein
kleines Abendessen bereiten, und abends würde er in den
neuen Büchern schmökern. Da war die Nacht eine
Verheißung gewesen, die Nacht mit ihrem Glanz, doch den
hatte sie verloren.
    Er konnte zwar hinausgehen, aber nirgendwohin
zurückkehren.
    So begnügte er sich mit einer undeutlichen
Schilderung.
     
    DAS WETTER HATTE sich keine Eskapaden erlaubt, und als wir
nach getaner Arbeit vor dem Portal standen und uns voneinander
verabschiedeten, sagte Schwartz unvermittelt: »Ich habe
mich gestern dumm benommen. Bitte entschuldigen Sie.«
    »Selbstverständlich«, sagte ich. Ich hatte
den Vorfall beinahe vergessen.
    »In letzter Zeit bin ich nicht mehr ich selbst«,
sagte er.
    Ich erwiderte nichts darauf, denn ich wollte nicht in seine
privaten Angelegenheiten dringen.
    Er zögerte kurz, doch dann sagte er: »Darf ich Sie
zu einem Glas Bier einladen? Dort drüben ist eine Kneipe,
sie ist sicher so gut wie jede andere.«
    Es war nur zu deutlich, daß er mir etwas erzählen
wollte, und ich willigte ein.
    Wir setzten uns an einen blankgescheuerten Holztisch, eine
Musicbox spielte leise längst abgehangene Schnulzen, das
Bier stand vor uns, und er fragte:
    »Halte ich Sie von etwas ab? Erwartet Ihre Frau
Sie?«
    »Ich bin nicht verheiratet, und ich habe viel
Zeit«, erwiderte ich.
    »Das ist gut«, sagte er. »Haben Sie etwas
dagegen, wenn ich Ihnen eine Geschichte erzähle? Ich habe
niemanden, mit dem ich reden kann, und sonst macht mir das nicht
das geringste aus. Aber in der letzten Zeit ist so vieles
geschehen. Ich muß es jemandem mitteilen. Haben Sie etwas
dagegen, daß Sie derjenige sind?«
    Ich verneinte. Um ehrlich zu sein: Er hatte mich neugierig
gemacht.

Und nun begann die eigentliche Geschichte. Ihr wollte Benno
die nächsten Tage und Wochen widmen, doch für heute war
es genug. Er legte den dünnen Papierstapel aufeinander
– er schrieb auf DIN A-5 Blättern –, und obenauf
legte er den Kugelschreiber. Dies war das Ritual des
täglichen Endes.
    Er stand auf und reckte sich. Er fühlte sich gut, wenn er
schrieb. Es war stockdunkel draußen, und in seiner Wohnung
brannte nur die kleine Schreibtischlampe. Benno liebte diese
Atmosphäre. Sie ließ nicht in jede Ecke Licht, und er
konnte sich dort allerhand vorstellen. Jetzt aber war er
müde, und er schaltete die Deckenlampe ein.
    Unzählige Bücher tauchten aus den Schatten an den
Wänden auf. Auch diesen Anblick liebte er. Jedes Buch war
eine Welt, die sich in ihrer Eigentümlichkeit nur ihm allein
erschloß. Die meisten Bände hatte er während
seines Studiums gekauft, denn er hatte damals eine gutbezahlte
Nebentätigkeit gehabt.
    Bei dem Verlag der Kirchenzeitung hatte er beinahe jeden
Mittwoch eine Nachtschicht gefahren: Zeitungen zählen,
abpacken, versandfertig machen, damit sie morgens bei den
Verteilern lagen. Es war eine anstrengende Arbeit gewesen, doch
die Aussicht auf kleine Gespräche mit den anderen drei oder
vier Studenten hatte Benno immer als angenehm empfunden. Sie
waren keine eingebildeten Affen, sondern durchweg patente Kerle
gewesen. Aber auch unter ihnen war es Benno nicht gelungen,
Freundschaften zu schließen; er hatte sich nicht getraut.
Nachdem er zum zweiten Mal durch das Examen gefallen war, hatte
er die Stelle gekündigt, denn er hatte sich vor ihnen
geschämt. Zum Glück hatte sich später der Job bei
der Versicherung schnell ergeben.
    Da Benno aber nun eine hohe Miete zahlte, blieb ihm nicht viel
Geld für Extravaganzen wie teure Bücher.
    Der Tod seiner Eltern hatte in sein Leben ein
unauffüllbares Loch gerissen; sie waren eine glückliche
Familie gewesen, und von einem Tag auf den anderen stand Benno
allein da. Er wunderte sich heute noch, daß er es
überhaupt geschafft hatte. Die neue Wohnung hatte ihm dabei
entscheidend geholfen, denn er wollte nicht auf Schritt und Tritt
von Erinnerungen belagert werden.
    Doch es gab Erinnerungen, die er liebte: die
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