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Nomadentochter

Titel: Nomadentochter
Autoren: Waris Dirie
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sagte ihm, ich würde welches schicken. Mich um fünf Uhr morgens zu wecken ist typisch für meinen Bruder. Ich liebe ihn wirklich, aber er meldet sich immer nur dann, wenn er mein Geld braucht! Mohammed hatte Verwandte getroffen, die gerade aus Somalia angekommen waren. Sie konnten nicht nur problemlos dort reisen, sondern hatten sogar Angehörige besucht, die in der Nähe meiner Mutter lebten! Da sie wieder zurückkehren wollten, versuchte Mohammed jetzt, ihnen Geld für meine Mutter mitzugeben. Wenn jemand in meiner Familie Geld hat, dann teilen wir es – das ist bei uns üblich.
    In Afrika reißen die Leute Witze über das Buschtelefon. Da erfährt man einfach, wenn jemand zu Besuch kommt oder krank ist. Kommunikation findet ohne Telefon oder Papier statt; das sind Antennen, die ich nicht beschreiben kann. Ich habe keine Ahnung, woher Mohammed wusste, dass ich genau das hören wollte, was er sagte. Wundersamerweise rief er genau zu diesem Zeitpunkt an. Hier gibt es Handys, Faxe und Anrufbeantworter. Das ist ja alles ganz nett – aber ich glaube, solange man mit Gott Kontakt hält, meldet sich auch die Umwelt von alleine.
    Die Leute fragen mich ständig: »Haben Sie Ihr Faxgerät eingeschaltet? Ich muss Ihnen einiges schicken.«
    »Nein.«
    »Haben Sie denn E-Mail?«
    Dann erkläre ich ihnen, dass ich mit der modernen Technologie ein bisschen hinterherhinke. Aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, mit denen, die man liebt, in Verbindung zu bleiben – die gar nichts mit der Technologie zu tun haben.
    Mohammeds Anruf kam, als ich die Idee, nach Somalia fahren zu wollen, schon fast wieder aufgegeben hatte, und ich glaube, es war eine Botschaft Allahs. Mein Bruder sagte mir, meine Mutter wohne an der Grenze von Somalia zu Äthiopien in einem ruhigen, sicheren Dorf. Mein Vater lebte jetzt im Busch in der Nähe von Gelkayo, aber er sei kein Nomade mehr, obwohl er immer noch zu stolz war, sich in einem Dorf einzuquartieren. In den ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen hatte er die meisten seiner Kamele verloren und inzwischen Probleme mit den Augen. Er wohnte mit den beiden Frauen zusammen, die er nach meiner Mutter geheiratet hatte.
    Mohammed war in Mogadischu beim reichen Bruder meines Vaters aufgewachsen, deshalb kannte ich ihn gar nicht richtig. Dieses Arrangement ist in Somalia nicht ungewöhnlich. Ein Familienmitglied mit Geld wird häufig gebeten, sich um die Kinder ärmerer Verwandter zu kümmern. Selbst der Strauß legt sein Ei in ein anderes Nest. Die ahnungslose Mutter brütet alle Eier aus und zieht die fremden Küken mit groß. Manchmal findet man bis zu dreizehn Eier in einem Nest.
    In unserer Kindheit war der Militärdiktator Siad Barre an der Regierung. Er wollte in Somalia einiges verändern. Somali ist keine Schriftsprache, weil die Religionsführer und die Regierung sich nicht auf eine Schrift einigen konnten. Gebildete Leute ziehen die lateinische Schrift vor; aber die Sheiks bestanden auf arabischen Schriftzeichen, in denen der Koran verfasst ist. Siad Barre wurde von den Russen und Chinesen unterstützt – er wollte beiden Nationen gefallen. Mao erklärte einer somalischen Delegation in China, dass er die lateinische Schrift vorzöge und wünschte, die Chinesen hätten sie von Anfang an benutzt. Auch die Russen waren für die lateinische Schrift. Also verkündete Siad, dass Somali in lateinischer Schrift erscheinen sollte. Das beendete die Auseinandersetzung, und Somali wurde tatsächlich eine Schriftsprache. Die Regierung rief eine kulturelle Revolution aus und ordnete an, dass jeder innerhalb von zwei Jahren lesen lernen sollte. In Mogadischu wurden neue Schulen eröffnet, wo Mohammed Somali, Italienisch und Arabisch lernte. Arabisch ist die Sprache des heiligen Koran, die sich jeder Schüler aneignet. Im Süden Somalias, früher einmal italienische Kolonie, wurden die meisten Regierungsdokumente auf Italienisch erstellt.
    In Mohammeds Jugend brach die Stadt auseinander. Die Schulen und Krankenhäuser, für die das Ausland Geld gespendet hatte, wurden nie gebaut. Das Einzige, was ständig wuchs, war die Armee. Siad Barre war Darod, und für jemanden aus diesem Stamm gab es beim Militär zahlreiche Möglichkeiten. Die Armee hatte einen großen Bedarf an
khat
, und so wurde Mohammed
khat
-Dealer.
Khat
ist ein grüner Strauch, der ein Amphetamin wie Speed ausscheidet. Ursprünglich kauten es nur religiöse Führer, wenn sie Tag und Nacht den Koran rezitierten. Später saßen auch
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