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Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)

Titel: Nörgeln!: Des Deutschen größte Lust (German Edition)
Autoren: Eric T. Hansen
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der Vergangenheit erstaunlich widerstandsfähig gezeigt.
    Egal, wie sehr er es bereuen wird, der Steinzeitkavalier kommt in seinen quälenden Überlegungen an der überzeugenden Tatsache nicht vorbei, dass er immerhin noch ein Tag länger leben wird, wenn er auf die charmante Steinzeitschöne verzichtet.
    »Biologisch gesehen ist es besser, Furcht zu haben als sorglos zu sein«, betonte Gerhard Roth. »Sorglos zu sein ist sehr riskant. Wer sich fürchtet, dem geht es vielleicht schlecht, aber er bleibt immerhin am Leben. Wer in einer Konferenz vor dem Chef und den versammelten Kollegen etwas sagt, kann eine Beförderung bekommen, kann aber auch seinen Job verlieren. Das ist aber viel schlimmer als eine verpasste Beförderung. Neurobiologisch gesehen erlebt der Durchschnittsmensch die Angst vor einer Gefahr doppelt so intensiv wie die Freude auf einen Gewinn.«
    Langsam verstand ich die süße Sünde Nörgelei: Sie ist eine post-evolutionäre Liebeserklärung an die Steinzeit.
    Beim Stichwort »Angst« musste ich an die deutsche Tradition der Wahrsagerei denken.
    Ist der deutsche Mandelkern auf diesem Gebiet besonders kompetent? Es kann ja keiner die Zukunft vorhersagen wie die Deutschen. Als Amerikaner schäme ich mich, dass ich da nicht mithalten kann. Vor kurzem fragte mich ein Kollege, ob ich glaube, dass Präsident Obama wiedergewählt wird. Er war gerade ein Jahr im Amt. Wir Amerikaner können einen Wahlsieger nicht mal am Tag davor bestimmen, ja oft nicht mal am Tag danach. Ich stotterte, ich stammelte, »möglich ist es, aber dann wiederum …« Er drehte sich unbeeindruckt weg. Ein Deutscher hätte mit dieser Frage kein Problem gehabt. Schon am ersten Sonntag nach der Bundestagwahl gibt die Forschungsgruppe Wahlen die erste Hochrechnung bekannt, wer der nächste Bundeskanzler sein wird, »wenn am nächsten Sonntag Wahl wäre«. Alles in Deutschland wird hochgerechnet, von den Wahlen über das Waldsterben bis hin zur Geburten- und Arbeitslosenrate. Deshalb sehen die Deutschen so klar in die Zukunft: Sie rechnen besser als andere Völker.
    Ich rief den Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx in Wien an, wo er das Zukunftsinstitut Horx betreibt und Bücher schreibt, zum Beispiel Anleitung zum Zukunftsoptimismus: Warum die Welt nicht schlechter wird , und fragte ihn, was die Deutschen zu so eifrigen Wahrsagern macht. Er nannte mir auf der Stelle zwei Gründe.
    »Erstens der Lobbyismus. Wenn Sie eine Studie darüber lesen, wie schlecht es den Rentnern in zehn Jahren gehen wird, steckt irgendein Renten- oder Versicherungsverband dahinter, der vom Staat eine neue Gesetzgebung oder mehr Geld will. Wenn ein gestandener Journalist ein Buch darüber schreibt, dass das Internet uns alle dumm macht, dann ahnt er, dass ein Teil seiner Leser im Internet andere Informationsquellen entdecken und von seiner Zeitung abwandern wird. Er hat Angst, durch die neuen Medien seine gesellschaftliche Stellung zu verlieren.« Und natürlich will er diese Angst nicht für sich behalten.
    »Es ist aber doch ganz klar«, gab ich zu bedenken, »dass das Internet eine verdammt gefährliche Sache ist.«
    »Im Gegenteil«, meinte er. »Medien machen immer klug, ganz egal, welche, auch triviale Medien. Das ist erwiesen. Der IQ in ganz Europa und Amerika steigt seit vielen Jahren beständig an. Die Bildungsrate ist fünfmal so hoch wie vor fünfzig Jahren. Trotzdem warnt die Elite in jeder Epoche vor der Verdummung durch die neuen Medien. Wissen Sie, dass schon Sokrates vor der Schrift gewarnt hat? In dem Moment, in dem die Schrift sich durchsetzt, werden die Menschen verdummen, sagte er. Sokrates hat ja selbst nie geschrieben, nur gesprochen. Er sah voraus, sobald man anfängt zu schreiben und zu lesen oder gar Bücher durch die Welt schickt, die man dann zu Hause in aller Ruhe liest, pilgert keiner mehr zur Agora, wo er sitzt und seine Weisheiten von sich gibt.«
    Eigeninteresse spielt also auch eine Rolle.
    »Ein zweiter Grund ist einfach Angst«, sagte er, und schon waren wir wieder bei der Amygdala gelandet. »Angst ist bei uns evolutionstechnisch vorprogrammiert. Das ist auch der Grund, warum wir als Spezies so erfolgreich sind: Wir sind gefahrenorientiert. Wir sehen der Zukunft ängstlich entgegen und bereiten uns darauf vor. Deswegen erscheint uns die Utopie immer unwahrscheinlicher als die Dystopie. Bei meinen Vorträgen werfe ich ab und zu ein paar Behauptungen ins Publikum, zum Beispiel, ›die Scheidungsrate geht zurück‹, oder
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