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Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten

Titel: Nocturna - Die Nacht der gestohlenen Schatten
Autoren: Jenny-Mai Nuyen
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als dreißig Jahren versteckt und die legendäre Spelunke gegründet. Versteck des Jargo hatte man es genannt - aber da die, die seinen Namen nannten, meist in Eile waren, und um der wohnlichen Atmosphäre des Etablissements Rechnung zu tragen, hieß es heute nur noch Eck Jargo .
    Und jeder kannte Eck Jargo - hier waren mehr Räuber, Banditen, Betrüger und Mörder ein- und ausgegangen als im Gefängnis. Nicht jeder wusste allerdings, wo das berühmte Wirtshaus war. Und an dieser Stelle biss Bassar schon seit Jahren auf Granit.
    Die Adresse von Eck Jargo kannten nur die, die dort verkehrten. Niemand, der nicht den wachsamen Augen seiner Hüter vertraut war, würde das versunkene Reich der Kriminalität betreten, in dem den Gesuchten und Gehetzten das vergönnt war, was die Welt jenseits ihnen verwehrte: ein ruhiger Atemzug.
    Ein kleines Mädchen begann bei Bassars grimmigem Anblick zu weinen und rannte davon. »Der Beelzebub!« Das Mädchen verkroch sich im Kleid seiner Mutter.
    Dummes Kind, dachte Bassar und holte weit mit den Schritten aus, um dem Blick der verärgerten Mutter zu entkommen. Kinder! Solche wie die kleine Spiegelgold raubten ihm den letzten Nerv. Wie viele Briefe hatte sie ihm in der letzten Woche wohl geschrieben? Geradezu bombardiert hatte sie das Polizeipräsidium mit Fragen nach einem gefassten Täter. Dachte sie denn, er habe nichts Wichtigeres im Kopf als einen Brand, den noch dazu der verrückte Besitzer selbst gelegt hatte?
    Zugegeben, der Brand war eine recht heikle Sache, denn
immerhin war Buchhandel Spiegelgold mit vier Etagen die größte und älteste Buchhandlung der Stadt gewesen. Trotzdem, es gab größere Verbrechen als ein Feuer. Schon seit einigen Jahren ging beispielsweise ein Einbrecher um, der wertvolle Bücher stahl. Und erst gestern, nachdem der Dieb bei einem Kunstprofessor eingebrochen war, hatte sich herausgestellt, dass es sich um einen Jungen handelte. Ein Kind! Das bedeutete, dass es eine Bande sein musste, die seit Jahren Bücher klaute. Wer steckte dahinter? Wer bildete die Kinder aus? Denn angeblich hatte der junge Dieb bei seiner Flucht letzte Nacht ein erstaunliches Geschick bewiesen. Wer so leicht in die wohlhabendsten Häuser der Stadt einbrechen konnte, würde irgendwann bestimmt mehr als Bücher mitnehmen. Unter anderen Umständen hätte Bassar sich voll und ganz den Kinderdieben gewidmet, wäre da nicht ein noch viel dunkleres Rätsel … Und, verflixt noch mal, schon wieder ging es um Kinder.
    Denn in der ganzen Stadt verschwanden welche. Vor knapp neun Jahren waren drei Kinder, ein Junge und zwei Mädchen, aus den ärmeren Vierteln spurlos verschwunden. Das erste Mädchen hatte in einem Waisenhaus gelebt, deshalb fiel ihre Entführung vorerst nicht auf und niemand meldete sich bei der Polizei - schließlich brachen Kinder oft genug aus Waisenhäusern aus. Das zweite Mädchen hatte mit sieben Geschwistern bei einer Ziehmutter gelebt. Als das Mädchen verschwand, freute sich die Mutter über ein Maul weniger, das es zu stopfen galt. Auch sie meldete den Fall nicht. Dann wurde der Sohn eines Hufschmieds entführt. Die Eltern gingen zur Polizei. Aber selbst da nahm niemand große Mühen auf sich - Kinder gingen hin und wieder verloren, meistens tauchten sie auch wieder auf. Auch als zwei, dann vier weitere Kinder verschwanden, schenkte man den Fällen keine besondere Beachtung. Zudem kamen drei der vermissten Jungen und
Mädchen wieder, ohne sich erinnern zu können, wo sie gewesen waren. Wenig später wurde die Leiche eines Zeitungsjungen ans Flussufer geschwemmt. Auch das konnte passieren - der Tote hatte einen trinkenden Vater gehabt und der Mann wurde vorerst festgenommen.
    Das Geheimnis um die Kinder wurde auf anderem Weg bekannt. Eines Tages meldete sich der Leiter einer Irrenanstalt bei der Polizei. In den vergangenen zwölf Monaten waren neun Kinder von der Straße eingewiesen worden. Sie alle hatten ihr Gedächtnis verloren. Nur einer der Jungen und Mädchen konnte identifiziert werden: Er war der Sohn eines Bankdirektors, den man eine Woche zuvor vermisst gemeldet hatte. Alle Zeitungen berichteten über den Fall und die einflussreichen Eltern des Jungen übten großen Druck auf die Polizei aus.
    Die Sache kam ins Rollen. Bassar vermutete von Anfang an, dass die Kinder mit dem Gedächtnisverlust etwas mit den Entführungen zu tun hatten. Er besuchte die Eltern, deren Sprösslinge zurückgekehrt waren. Acht von dreizehn Kindern hatten ihre Erinnerung
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