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Noch lange danach

Noch lange danach

Titel: Noch lange danach
Autoren: Gudrun Pausewang
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Ruhe, lief auf Ämter, suchte in der ganzen Stadt herum, bis wir in dieses alte Haus ziehen konnten, am Rand unseres bisherigen Viertels. Die Besitzerin, eine Einheimische, hatte es zum Verkauf angeboten. Aber niemand hatte es haben wollen, weil es schon ganz vergammelt war und ringsum alles verwildert ist.
    Wir hätten es gekauft, wenn wir Geld gehabt hätten.
    Aber wir hatten ja keines. Da hat sie das Haus an uns vermietet.
    In dieser Bude haben wir wenigstens Ruhe. Und die Miete ist im Vergleich zu den üblichen Danach -Mieten gering.
    Ungeziefer? Na klar. Vor allem Mäuse. Die sind anfangs quer durch die Küche gesaust! Omi hat es manchmal den Appetit verschlagen, wenn sie Spuren von Nagezähnen am Käse sah. Da hat sie dafür gesorgt, dass eine Katze ins Haus kam. Keine gekaufte! Dazu hatten wir kein Geld. Ein streunender Kater.
    Alle weg. Schon am übernächsten Tag.
    Omi hat hinter dem Haus ein kleines Stück Gestrüpp entfernt, hat Rasen angesät und einen Klapptisch aufgestellt. Den hatte sie irgendwo im Müll stehen sehen.
    Sie borgte sich bei flüchtigen Bekannten einen Handwagen aus. Auf dem schafften wir den Tisch heim. Sie und ich. Wobei meine damaligen Kräfte noch kaum zählten. Aber unterwegs halfen uns nacheinander mehrere Leute beim Schieben oder Ziehen, obwohl Omi nicht darum gebeten hatte. Ein freundlicher Mann trug uns den Tisch sogar bis hinters Haus.
    Nein. Ein Wildfremder. Ich weiß nicht, woran es lag, dass Omi immer Helfer hatte. Vielleicht daran, dass sie trotz allem nicht verbittert war, immer gut gelaunt und zu allen freundlich. Sie lud ihn zu einer Tasse Tee ein. Aber er hatte es eilig.
    Kaum war er weg, putzten wir den Klapptisch gründlich und trugen unsere alten Stühle aus der Wohnung zu ihm hinaus. Omi deckte den Tisch und stellte den kleinen Kuchen darauf, den sie extra für diese Gelegenheit gebacken hatte. Und auch die volle Kaffeekanne.
    Kaffee war damals Luxus. Nicht, weil es ihn nicht zu kaufen gab, sondern weil er so teuer war. Wir konnten ihn uns nur selten leisten. Nun führte Omi Mama aus dem Haus. Ich hielt ihnen die Tür auf. Im Sonnenschein saßen wir zu dritt um den Tisch, tranken Kaffee und aßen Kuchen. Das heißt, Mama trank nur schwarzen Kaffee. Ohne Zucker. Das Kuchenstück schob sie weg. Ich zog es sofort zu mir heran und stopfte es mir in den Mund.
    Omi tat so, als sähe sie das nicht. Mit einem heiteren Blick auf das Himbeer- und Brombeergestrüpp und den umgebrochenen Zaun sagte sie: „Jetzt ist es hier fast so schön wie damals, zu Hause …“
    Ja, die Villa, die Omi und Opa mal gehört hat, steht noch. Nur darf sie nicht mehr bewohnt werden. Es ist nicht einmal erlaubt, hinzufahren, um sich irgendetwas herauszuholen. Es heißt, es gebe nur Sondergenehmigungen für Journalisten, die etwas über den Zustand dieses Gebietes schreiben wollen. Und auch nur „auf eigene Gefahr“.
    Fotos aus der Sperrzone? Na, da wisst ihr ja, wie’s dort aussieht. Omi hat mir mal ein Foto gezeigt, das sie in einer Zeitung gefunden hat. Da war eine Straße aus der Sperrzone zu sehen. Omi war ganz aufgeregt, denn das war die nächste Querstraße zu der Straße, in der ihr und Opas eigenes Wohnhaus steht! Sie kannte alle Familien, die in den Häusern auf dem Foto gewohnt hatten.
    Aber wie sahen diese Häuser aus! Und noch schlimmer die Gärten!
    Von manchen dieser früher sehr gepflegten Villen und Bungalows ist fast gar nichts mehr zu sehen. Umwuchert wie Dornröschenschlösser! Richtige Geisterstädte.

26
    Die meisten ehemaligen Bewohner der Gebiete, die sich an das Sperrgebiet anschließen, sind ebenfalls weggezogen.
    Es heißt, dass auch in diesen Bezirken die Krebsrate – vor allem für kleine Kinder – höher ist als in Gegenden, in denen sich kein Atomkraftwerk befindet. Viele verließen die Region, in der sie sich bisher wohlgefühlt hatten, nur sehr ungern. Vor allem Hausbesitzer, die ihre Immobilie nicht loswurden. Hatten sie doch oft jahrelang gespart, um sich ein Eigenheim leisten zu können. Und wer kaufte schon etwas in dieser Gegend, in der erhöhtes Krebsrisiko bestand? Aber eine Erkrankung ihrer Kinder wollten sie auf keinen Fall riskieren. Wir haben einen Jungen aus einer solchen Familie in der Klasse. Sein Vater, früher Hotelier, hat hier wieder Arbeit gefunden. Aber nur als Kellner. Für ein neues Haus reicht sein Lohn nicht. Julians Familie wohnt jetzt in einer Mietwohnung.
    In diesen 41 Jahren seit unserer Reaktorkatastrophe gab’s in Deutschland eine
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