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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht
Autoren: Fabio Volo
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immer noch ein Kind wollen, dann treffen wir uns an der Freiheitsstatue im Jardin du Luxembourg. Das ist der einzig vernünftige Grund, sich wiederzusehen und weiterzumachen. Andernfalls ist es besser, wenn wir uns nicht mehr sehen und unsere Geschichte so im Gedächtnis behalten.« Während ich daran dachte, wie absurd das Ganze war, schaute Michela in ihren Kalender und sagte schließlich: »Am besten am 16.   September.«
    »Das ist doch Wahnsinn.« Und dann: »Okay. Um wie viel Uhr?«
    »Das überlasse ich dir.«
    »Dann um elf Uhr morgens. Okay?«
    »Am 16.   September um elf Uhr morgens. Oder nie wieder.«

Paris
    Silvia ist happy. Sie wohnt jetzt mit Margherita in der neuen Wohnung. Am Schluss hat Carlo alles eingesehen und sich gar nicht so schlimm aufgeführt wie befürchtet. Auch ihm geht es besser. Margherita ist ein glückliches Kind. Alle haben sich gewundert, dass sie mit der Veränderung offenbar bestens zurechtkommt. Ihre Eltern haben ihr erklärt, dass sie beide, obwohl sie jetzt getrennt wohnen, sie noch genauso liebhaben wie vorher. Außerdem waren sie mit ihr bei einer Psychologin. Am Ende hat sogar Silvias Mutter eingelenkt: Wenn man sich nicht mehr liebe, sei es richtig, sich zu trennen. Wie seltsam die Menschen manchmal sind.
    Warum ich in Paris bin, brauche ich wohl nicht zu sagen. Ich will ein Kind von Michela. Seit unserem letzten Treffen sind drei Monate vergangen, und in dieser Zeit ist mein Verlangen nach ihr keineswegs geringer, sondern im Gegenteil nur noch größer geworden, in jeder Beziehung. Ich will ein Kind mit ihr, weil sie für mich wie ein Haus mit Glasdach ist: Ich kann den Himmel sehen und fühle mich trotzdem geborgen. Jetzt verlasse ich die Place des Vosges, gehe die Rue de Rivoli hinunter bis zum Hôtel de Ville. Ich ziehe den Pullover aus, weil die Sonne herausgekommen und mir vom Gehen warm geworden ist. Es ist halb elf. Ich könnte noch zur Nôtre Dame spazieren und dann in den Boulevard Saint Michel einbiegen. Aber ich entscheide mich für den schöneren Weg. Die andere Route spare ich mir für den Rückweg auf, zumal ich dann, egal wie das Treffen ausgeht, bestimmt so aufgewühlt sein werde, dass ich nicht einmal eine galoppierende Herde aus zwanzig rosa Ponys wahrnehmen würde. Wenn sie nicht kommt, werde ich das Gefühl haben, jetzt schon alt zu werden. Ich gehe bis zum Pont des Arts, einer Holzbrücke, an der sich bei schönem Wetter abends die jungen Leute zum Picknick treffen. An der Place Saint Germain des Prés biege ich in die Rue Bonaparte ein, passiere die Place Saint Sulpice und komme schließlich am Jardin du Luxembourg an.
    Ich bin zu früh dran, eigentlich hätte ich gerne gehabt, dass sie schon da ist und auf mich wartet. Nervös drehe ich eine Runde durch die Anlagen. Um den Brunnen herum sitzen junge Leute, die den Palast abzeichnen. Auch am Musée d’Orsay habe ich einmal eine große Gruppe von Schülern gesehen, die auf dem Boden saßen und die Statuen abzeichneten. Es ist ein schöner Anblick, wenn die Museen so belebt sind. Als ich weitergehe, sehe ich Menschen beim Tennisspielen, einige joggen, andere machen Tai Chi in einem offenen Pavillon. Viele lesen. Überall gibt es Metallstühle, die man hinstellen kann, wo man möchte. Die meisten Stühle stehen rund um den Brunnen, das kleine Geländer dort kann man bequem als Fußstütze benutzen. Jetzt bin ich fast an der Freiheitsstatue. Dort stehen keine Stühle. Ich hole zwei Stühle und postierte sie an unserem Treffpunkt. Einen für mich und einen hoffentlich für sie. Denn jetzt bete ich nur noch, dass sie auch wirklich kommt. Diesen Augenblick habe ich mir schon in allen Varianten vorgestellt. Auch diesmal könnte es mir ergehen wie schon so oft: Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Während ich nach vorne starre, um sie ja nicht zu verpassen, könnte sie sich auch von hinten anschleichen, mir plötzlich mit ihren warmen Händen die Augen zuhalten und sagen: »Rat mal, wer hier ist?«
    Falls sie wirklich kommt, was dann? Wo werden wir leben? Soll ich nach Amerika ziehen, oder kommt sie zurück nach Italien? Wann immer ich darüber nachdenke, fällt mir nur eine Antwort ein, nämlich dass Michela das Land ist, in dem ich leben möchte.
    In den vergangenen drei Monaten habe ich mich ihr zutiefst verbunden gefühlt. Ich habe mich auf den Rand des Lebens gesetzt, habe die Beine baumeln lassen, habe in die Unendlichkeit geblickt und ihren Duft eingeatmet. Eine merkwürdige Art,
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