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Noch ein Tag und eine Nacht

Noch ein Tag und eine Nacht

Titel: Noch ein Tag und eine Nacht
Autoren: Fabio Volo
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Wohnungsbesichtigungen, die ein Freund von uns, ein Makler, ihr vermittelte. Als sie eines Tages eine Wohnung besichtigt hatte, die ihr gefiel, fragte sie, ob ich mich nach dem Abendessen mit ihr dort treffen könne. Sie wollte herausfinden, wie die Wohnung zu dieser Tageszeit aussah. Wir kauften ein paar Flaschen Bier und Pizza aus dem Karton und verbrachten den Abend in der leeren Wohnung. Der Anzeige nach zu urteilen, musste die Wohnung ein Schmuckstück sein. Ich hatte schon immer viel Phantasie, bei Wohnungsanzeigen reichen mir gewöhnlich zwei oder drei Details, um mir die Wohnung hell, mit großen Fenstern und mit schönen Farben auszumalen. Aber wenn ich die Wohnung dann sehe, bin ich meistens enttäuscht.
    Am Ende entschied sich Silvia für genau diese Wohnung, wohl nicht zuletzt deshalb, weil wir uns dort so gut unterhalten hatten. Die Wohnung strahlte positive Energie aus, man konnte hervorragend quatschen, sie war ruhig und hatte schöne Fenster zum Innenhof.
    An jenem Abend erzählte Silvia viel über ihr Verhältnis zu Carlo, und dabei kamen mir jede Menge Einsichten über mein Verhältnis zu Michela. Ein indirektes Zuspiel, über Bande.
    »Mein ganzes Leben habe ich versucht, die Probleme der Leute zu lösen, die mir nahe waren. Wenn ich sie leiden sah, hätte ich alles für sie getan. Das Glück der anderen war mir immer wichtiger als mein eigenes. Ich dachte immer, mir könne nichts passieren, ich würde sowieso immer auf die Füße fallen. Und jetzt, wo ich auch einmal an mich denke, heißt es auf einmal, ich sei zickig. Du weißt, dass das stimmt, Carlo, du kennst mich ja. Ach Gott, jetzt habe ich dich doch tatsächlich Carlo genannt!«
    »Pass bloß auf. Dass meine Oma mich mit Alberto anredete, das ging ja noch, aber Carlo, das geht zu weit… Weißt du noch, wie meine Oma Alberto zu mir gesagt hat?«
    »Natürlich weiß ich das noch.«
    »Neulich kam mir der Gedanke, dass ich jetzt zum guten Schluss, nachdem ich meine ganze Kindheit damit verbracht habe, bei meiner Mutter die Stelle meines Vaters zu vertreten, auch noch bei meiner Oma den Großvater vertreten sollte. Immer habe ich den Mann im Haus gespielt.«
    »Wir haben uns in eine fremde Rolle drängen lassen, aber daran sind nicht die anderen schuld, sondern wir selbst.«
    »Meinst du, wir können noch mal zurück, in unsere eigene Rolle?«
    »Ich glaube schon, aber dazu müssen wir uns etwas trauen.«
    »Ich trau mich was und esse auch noch deine Hälfte der Pizza, mir scheint, du magst nicht mehr.«
    »Nimm nur… weißt du, was mir klargeworden ist, Giacomo? Ich hatte doch recht, als ich sagte, dass es schön ist, wenn einem der andere dabei hilft, die eigenen Möglichkeiten zu entfalten.«
    »Was meinst du damit?«
    »Schau mich an, in meiner Beziehung zu Carlo konnte ich mich gar nicht richtig entfalten, eigentlich hätte ich viel mehr aus meinem Leben machen können. Aber er, er hat das gar nicht wahrgenommen. Ob ich meine Träume verwirklichen konnte, hat ihn nie interessiert, vielleicht wusste er nicht mal, dass ich überhaupt welche hatte. Was mit mir war, wie ich mich fühlte, war unwichtig, für ihn zählte nur, was ich für ihn und sein Leben bedeutete. Für seine Begriffe war ich perfekt, weil ich mich in allem nach ihm richtete. Er war aktiv, und ich passte mich an. In seinen Augen war ich immer dieselbe. Aber alles, was ich tat, war steril, weil ich mich in dieser Beziehung nie lebendig fühlte. Folglich hat er auch nichts mitbekommen, weder die kleinen Veränderungen noch meine Krisen, und wenn, hat er sie nicht ernst genommen. Daran war ich natürlich auch selber schuld. Seine Liebe reichte mir nicht, weil es nicht die Art Liebe war, die ich mir wünschte – es war nicht die Liebe eines Mannes, sondern die eines Kindes. Das hat sich ja daran gezeigt, wie er mit Problemen umging: mit emotionaler Erpressung. Seine Liebe bestand darin, Aufmerksamkeit zu verlangen, und das war’s.«
    »Ich habe immer schon gedacht, er wusste ganz genau, wie wichtig es für dich ist, deine Träume zu verwirklichen; dass er sich einfach dumm stellte, weil er genau wusste, wenn du deine Träume verwirklicht hättest, hätte er sich plötzlich auch mal nach dir richten müssen. Und außerdem hättest du dich dadurch von ihm entfernt und wärst irgendwo gelandet, wohin er dir nicht hätte folgen können.«
    »Ich bräuchte eine Beziehung, wo jeder seinen eigenen Weg geht und dabei sicher sein kann, dass der andere mitkommt. Es war vor allem meine
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