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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament
Autoren: Liza Marklund
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noch?«
    »Entschuldigen Sie«, sagte der Polizist hinter ihr, »mit wem sprechen Sie?«
    Sie beschleunigte ihren Schritt, und direkt vor dem Eingang zur Schreibstube verfing sie sich im Saum ihres Kleides, stolperte und verlor die Freisprechanlage. Ihre Stola fiel zu Boden, und die eiskalte Luft im Gang umfing sie und legte sich auf ihre Haut wie ein nasses Handtuch. Sie schauderte, sah sich um, das Mitglied der Akademie war von zwei Ordnern in weißen Jacken abgelöst worden, die mit dem Rücken zu ihr saßen.
    »Annika?«, sagte Jansson, als sie den Kopfhörer wieder im Ohr hatte.
    »Ich darf nicht darüber schreiben, Q hat mir Redeverbot erteilt. Wahrscheinlich war es schon strafbar, den Mörder dir gegenüber zu erwähnen. Ich muss jetzt zu einem weiteren Verhör in die Kungsholmsgatan.«
    »Sie da, machen Sie das Handy aus.«
    Annika fuhr herum und starrte den Polizisten an.
    »Wissen Sie, ich telefoniere mit diesem Handy, so viel ich will. Arrestieren Sie mich doch, wenn es Ihnen nicht passt.«
    Sie drehte sich um und ging weiter, fort von der Eiseskälte.
    »Den Begriff ›arrestieren‹ gibt es in der schwedischen Rechtsterminologie nicht«, sagte der Polizist.
    »Ruf unseren Justiziar an und versuch rauszufinden, was genau ich schreiben darf und was nicht«, sagte Annika ins Mikrofon. »Wie sieht es aus, brauchst du was Bestimmtes?«
    Sie hörte, wie Jansson sich die Haare raufte. Sie war ebenso frustriert wie er, und sie wünschte, sie könnte etwas dagegen tun.
    »Alles. Die anderen haben Material mit Bildern ins Netz gestellt, wir haben nur TT. Wann kannst du hier sein?«
    »Ich weiß es nicht, aber ich komme, so schnell ich kann. Wie viel hat Olsson drauf gekriegt?«
    Jansson stöhnte laut.
    »Nichts. Er fand den Winkel falsch und das Licht schlecht, deshalb hat er keine Bilder gemacht.«
    »Du machst Witze«, sagte Annika.
    Der Polizist hielt Annika eine Tür auf, sie kamen gegenüber der Blauen Halle auf die Galerie, gleich neben der ersten Tür zum Goldenen Saal.
    »Nichts davon war zu gebrauchen. Bildmäßig sind wir völlig aufgeschmissen.«
    Annika spürte, wie sie bleich wurde.
    Nie bekam der Fotograf die Schuld, sondern immer der Reporter, vor allem sie und besonders jetzt. Es war erst drei Wochen her, dass sie den Chefredakteur gezwungen hatte, einen Artikel zu veröffentlichen, der die Inhaberfamilie der Zeitung als diktatorische Erpresser entlarvte.
    »Was brauchst du?«
    »Scheißegal, Hauptsache Blut und Polizei.«
    Annika brach das Gespräch ab und bog abrupt nach links. Sie war im Goldenen Saal, noch ehe das Prachtexemplar reagieren und ihr nachrufen konnte, dass sie stehen bleiben solle.
    Der Saal war in das gleißend hellblaue Licht von den starken Lampen der Kriminaltechniker getaucht. Vom Gemälde schaute die scheeläugige Frau auf sie herab, ihr Schlangenhaar drohte sie zu ersticken. Auf der anderen Seite, drüben unter dem kopflosen Sankt Erik, hockten an der Stelle, wo die Frau gestorben war, zwei Männer. Annika hob ihr Handy, aktivierte die Kamerafunktion des Telefons und drückte auf
neues Foto.
Sie machte noch zwei Schritte,
neues Foto,
noch fünf,
neues Foto.
    Der Polizist fasste sie am Oberarm, aber sie machte sich los.
    Zehn fast gerannte Schritte,
neues Foto,
die Kriminaltechniker bemerkten sie und blickten verwundert auf,
neues Foto.
    »Sie verschwinden jetzt von hier«, rief der Polizist, und sie verlor den Boden unter den Füßen, als er sie ergriff. Er schleppte sie durch die sechste Tür wieder auf die Galerie hinaus und setzte sie erst ab, als sie die Treppe erreicht hatten. Sie spürte den Steinboden unter den Füßen, und für einen schwindelerregenden Augenblick fand sie sich selbst an genau der Stelle wieder, an der sonst die königlichen Hoheiten und Nobelpreisträger von den Fernsehkameras eingefangen wurden, bevor sie langsam eine der berühmtesten Treppen der Welt hinunterschritten.
    Die hatten eine andere Aussicht, dachte sie und betrachtete die Reste eines Diners für eintausenddreihundert Gäste. Früher am Abend hatten die Preisträger von hier über perfekt gedeckte Tische und feierlich gekleidete Menschen geblickt, blitzendes Kristall und Porzellan mit Blattgoldrand, Blumen und Trompeten.
    Nun war die Blaue Halle mit ihren stummen Backsteinwänden mehr denn je zuvor ihrem einsamen Schicksal überlassen. Der Ehrentisch war abgedeckt, aber sonst stand noch überall das Porzellan herum. Auf den schmutzigen Tischdecken waren Essensreste eingetrocknet.
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