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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament
Autoren: Liza Marklund
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aus.
    »
It’s been a pleasure
«
,
sagte der Chefredakteur und küsste ihr die Hand, ehe er im Getümmel verschwand. Annika lachte höflich. Vielleicht war er beleidigt, weil sie abgelehnt hatte, mit ihm zu tanzen.
    Sie zupfte ihre Stola zurecht und schaute auf die Uhr. Sie musste noch nicht sofort zurück in die Redaktion. Anders Wall und seine Frau schwebten vorbei, der Chef des Schwedischen Fernsehens SVT war auf dem Weg in die andere Richtung.
    Plötzlich bemerkte sie, dass sich jemand dicht hinter sie stellte. Sie sah auf und schaute in die Augen von Bosse, Reporter des
Konkurrenten.
    »Wie viele Sterne gibst du der Vorspeise?«, fragte er leise, den Mund nah an ihrem Ohr.
    »Vier Totenköpfe«, sagte Annika und lehnte die Schulter an seine Hemdbrust. »Wie viele Punkte für Prinzessin Madeleines Ausschnitt?«
    »Zwei Melonen«, sagte Bosse. »Und die Dankesrede des Medizinpreisträgers?«
    »Acht Schlaftabletten …«
    »Darf ich bitten?«
    Er verbeugte sich ein bisschen übertrieben, und Annika sah sich hastig um, ob der Redakteur von der
Science
noch in der Nähe war. Dann nickte sie, stopfte ihr elegantes Abendhandtäschchen rasch in ihre große Schultertasche und hängte sie sich um. Die Stola ihrer Großmutter lag über ihren Unterarmen, das Kleid rauschte. Bosse ergriff ihre Hand und führte sie hinauf zum Tanzparkett in den Goldenen Saal. Sie schlängelten sich zwischen Tischen, Blumen und Kristallgläsern hindurch. Annika hatte die meisten Weinflaschen an sich vorüberziehen lassen, hatte nur ab und zu genippt, um sich ein Urteil bilden zu können – gegenüber den Lesern des
Abendblattes
war das der blanke Hohn: Sie hatte keinen blassen Schimmer von Wein. Dennoch fühlte sie sich angetrunken, ihre Füße waren eine Spur zu leicht. Sie griff nach Bosses Arm, als sie die Stufen hinaufstiegen, das Kleid hob sie mit der anderen Hand.
    »Ich falle bestimmt hin«, murmelte sie. »Wenn wir oben sind, stolpere ich, und dann fliege ich den ganzen Weg nach unten, direkt irgendeinem Parteimenschen vor die Füße.«
    »Auf dieser Treppe ist noch nie jemand hingefallen«, sagte Bosse. »Als sie gebaut wurde, hat Ragnar Östberg seine Frau eine Woche lang genötigt, in Abendgarderobe hier hoch- und runterzulaufen. Danach hat er die Abstände so bemessen, dass man schreiten kann, ohne zu fallen. Das hat bis heute funktioniert. Die Frau ist allerdings übergeschnappt und hat die Scheidung eingereicht.«
    Annika lachte, ein wenig zu laut und herzlich.
    Schon bald würde sie das Fest verlassen und zurück in die Redaktion fahren müssen, um zu schreiben. Schon bald würde der Zauber dahin sein, ihre wallende Abendgarderobe würde sich wieder in H&M-Wäsche und ein Polyesterkleid verwandeln, das auch als Staubsauger funktioniert hätte – so elektrisch aufgeladen, wie es war.
    »Eigentlich ist es ganz schön abgefahren, hier dabei sein zu können«, sagte sie.
    Bosse legte ihre Hand auf seinen Arm und führte sie die letzten Stufen hinauf, wie der Chemiepreisträger die Königin.
    Sie erreichten die große Galerie gegenüber der Blauen Halle. Eine Getränketheke vor den Eingängen zum Goldenen Saal machte es schwierig vorbeizukommen.
    »Noch einen Abschiedstrunk?«, fragte Bosse, und sie schüttelte den Kopf.
    »Einen Tanz, und dann muss ich wirklich los.«
    Sie betraten den Goldenen Saal, diesen fantastischen Festsaal, dessen Wände mit Kunstwerken und Mosaiken aus echtem Gold bedeckt waren. Das Orchester spielte, doch Annika hörte die Musik nicht, sie war nur ein Geräuschteppich. Das einzig Wichtige schien zu sein, dass sie hier war und Bosse seine Hand auf ihren Rücken legte und sie sich weiter, weiter, weiter drehte, bis das goldene Mosaik um sie herum nur so wirbelte.
    An der Decke ein Kreuzgewölbe, der Boden aus Kalkstein. Das Kätzchen befand sich im Gebäude. Seide rauschte und spannte über satten Mägen, Krawatten scheuerten in roten Nacken. Unbemerkt glitt sie zwischen die anderen Abendkleider, sie brauchte sich hier nicht umzusehen. In den vergangenen Monaten hatte sie an diversen Führungen in drei verschiedenen Sprachen durch sämtliche Säle und Galerien des Stadshuset teilgenommen. Sie hatte Fotos gemacht und das gesamte Gelände genau studiert, mit Probegang und Proberutschen, kannte Schrittlängen und Atemzüge.
    Es war ein beeindruckender Kasten, das unterschrieb sie gern. Die Architektur dieses Gebäudes war noch das Beste an diesem Auftrag.
    Zwölf Schritte bis in die Blaue Halle.
    Unter den
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