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Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)

Titel: Ninragon – Band 1: Die standhafte Feste (German Edition)
Autoren: Horus W. Odenthal
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in diesem Moment plötzlich die kreisenden schwarzen Vogelschleier auseinander, mit aufgeregt alarmiertem Krächzen, gerade so, als wäre ein Blitz in sie gefahren.
    Darachel blieb zwei Schritte vor dem Menschenmann stehen, und sein Blick glitt über die blutgetränkten, zerrissenen und versengten Reste eines blauen Uniformmantels, die darunter hervorsehenden Teile von Rüstung und eines zerfetzten, durchlöcherten Kettenhemds. Die Rüstungsteile waren befleckt mit Blutgeschmier, Lehmspritzern und dazwischen noch unverwischten, rot getrockneten Rinnsalspuren verlaufenden Blutes, die auf den glatten Metallflächen die Formen knorrig sich verzweigenden Wurzelwerks angenommen hatten. So viel Blut, dass man das wahre Ausmaß der Verletzungen gar nicht erkennen konnte. Er trug keinen Helm mehr; Fliegen summten durch die dunkelstoppelige, blutig gefleckte Schur des Kopfes, unter der Narben schimmerten, als hätte ein schmaler Beitel kleine Schnipsel aus der sonnengedunkelten Schädelhaut gekerbt.
    Bevor Darachel sich versah, war er niedergekniet und drehte den Liegenden vorsichtig um. Das Gesicht war aufgedunsen und von schweren Blutergüssen gezeichnet, ein Auge nur noch eine zugeschwollene Masse. Wegen des kurzen Haares war er erstaunt, trotz der angerichteten Verwüstungen darin, die Züge eines Mannes aus den Regionen des fernen Nordwestens zu erkennen, aus den Gegenden, welche die Menschen Valgarien nannten. Dies war also einer jener Menschen, die von den Leuten des Idirischen Reiches Barbaren genannt wurden. Vielleicht weil sie instinktiv, aus tief vergrabenen Erinnerungen heraus, spürten, dass etwas anders war an ihnen, diesen traurigen und tragischen Abkömmlingen der alten Vai-Gaijar, die noch in den Späten Feuerkriegen auf der Seite Anaudragors und seiner Erzverheerer gekämpft hatten.  
    Seine Lider flatterten nicht, doch sein Körper war noch warm.
    Ebenso überraschte Darachel, wie jung – wenn er die Zeichen der Rassenmerkmale richtig las – der verletzte Menschenmann war. Dennoch hatte sich schon jener harte Zug in sein Gesicht gegraben, den das Verhältnis, das zwischen den Menschen und der Natur der Welt bestand, ihnen aufprägen konnte.
    Ein erneutes erbittertes Aufkrächzen der Krähenschwärme über ihren Köpfen ließ Darachels Blick von dem Menschenmann hochzucken. Ein weiterer Aufruhr war unter die kreisenden Vögel gefahren. Sie wirbelten empor und trieben auseinander wie welke Blätter in der kalten, trockenen Brise vor einem aufkommenden Sturm. Ihre jäh zerfetzten Kreise zerstreuten sich, als eine um die andere Gruppe sich Richtung Norden absetzte, wie in hektischer, wilder Flucht.  
    Sein Blick kehrte zur Erde zurück, als er dort die Bewegung am Himmel durch etwas gespiegelt fühlte. Ein Aufruhr ging ebenfalls durch das herbstlich gefärbte Laub der Baumwipfel hinter dem Kamm der Anhöhe, an deren Fuß er und seine Begleiter standen. Die Blätter dort bebten und wallten in wellenartigen Wirbeln, als wären die Stämme der Bäume dort in heftige Bewegung geraten.
    „In der Waldung ist etwas“, hörte Darachel Fearnagél dicht hinter sich wie zur Bestätigung seiner eigenen Beobachtung sagen. „Etwas bricht dort durchs Gehölz.“
    „Vielleicht ein verwundetes Tier?“, mutmaßte Banraic. Darachel sah ihn aus den Augenwinkeln neben sich treten und die Hand an den Griff des Schwertes legen. Sie waren ohne Bogen oder andere Waffen außer ihren traditionellen Schwertern hierher gekommen. Ihr gemeinsamer Ausflug auf das Plateau war nichts Außergewöhnliches oder Gefährdetes; kein Mensch kam in den Bannkreis von Himmelsriff, und von Tieren hatten sie eigentlich nichts zu fürchten.  
    Jenseits des Kammes war es jetzt mit einem Mal wieder still geworden. Keine Bewegung im Laub, kein Geräusch, nichts. Darachel lauschte gebannt.
    „Vielleicht ist da etwas, das den Vai-Gaijar verfolgt“, meinte Bruc in die Stille hinein. Er und Cedrach traten nun gleichfalls näher heran, und die anderen ihrer kleinen Gruppe folgten, so dass sie schließlich in einem lockeren Halbkreis um Darachel und den am Boden liegenden Menschenmann herumstanden und in Richtung der Waldung jenseits des Hügelkammes blickten.
    „Soweit ich das deuten kann, stammen die Wunden aus einer Schlacht, nicht von einem einzelnen Tier“, erwiderte Darachel, „doch könnte es sein –“
    Er verstummte augenblicklich.
    Da stand es. Unvermittelt und ohne weitere Warnung ragte es am Kamm der Anhöhe auf, groß, massig und roh.
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