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Nimm dich in acht

Nimm dich in acht

Titel: Nimm dich in acht
Autoren: Mary Higgins Clark
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und starrte aus dem Fenster auf die rasche Strömung des East River. Mit der ihr eigenen Geste strich sie sich eine Strähne ihrer weichen grauen Haare aus der Stirn. Seit drei Jahren, seit ihre Tochter Regina verschwunden war, kam sie sich innerlich wie erstarrt vor.
    Sie horchte unablässig, ob sich ein Schlüssel im Schloß drehte oder ob das Telefon läutete … Wenn sie dann abnahm, würde Regina in ihrer rücksichtsvollen Art sicher fragen: »Mutter, bist du gerade sehr beschäftigt?«
    Sie wußte, daß Regina tot war. Im Grunde ihres Herzens war sie davon überzeugt. Es war eine primitive, instinktive Gewißheit. Sie hatte es von Anfang an gewußt, von dem Augenblick an, als man sie vom Schiff aus anrief, um ihr mitzuteilen, daß Regina nicht wie geplant wieder an Bord gekommen war.
    Heute morgen hatte ihr Rechtsanwalt Douglas Layton angerufen, um sie erbost davon zu unterrichten, daß Dr. Susan Chandler im Radio Reginas Verschwinden thematisieren wollte. »Ich habe versucht, sie davon abzubringen, aber sie blieb dabei, daß es Ihnen nur nützen würde, endlich die Wahrheit zu erfahren, und dann hat sie aufgelegt«, stieß er angespannt hervor.
    Inzwischen hatte sie viel nachgedacht. Diese Dr. Susan Chandler irrte sich. Regina – so intelligent, so angesehen in der Finanzwelt – war einer der zurückhaltendsten Menschen gewesen, die man sich denken konnte.
    Noch zurückhaltender als ich, dachte Jane Clausen sachlich. Vor zwei Jahren hatte das Fernsehen in einer Sendung über Vermißte einen Beitrag über ihre Tochter bringen wollen. Sie hatte damals ihre Mitarbeit verweigert, aus dem gleichen Gefühl heraus, das sie vorhin bei Dr. Chandlers Sendung überkommen hatte. Es tat ihr weh, daß dieser Autor, Donald Richards, angedeutet hatte, Regina sei so dumm gewesen, mit einem Mann auf-und davongehen zu wollen, den sie kaum kannte.
    Ich kenne meine Tochter, dachte Jane Clausen. Das war nicht ihre Art. Doch selbst wenn ihr ein solcher Fehler unterlaufen wäre, hätte sie es nicht verdient, im Fernsehen oder im Radio bloßgestellt und von aller Welt bemitleidet oder verspottet zu werden. Jane konnte sich lebhaft vorstellen, wie die Regenbogenpresse sich darauf stürzen würde, daß Regina Clausen trotz ihrer Herkunft und ihres beruflichen Erfolgs nicht klug oder erfahren genug gewesen war, um einen Betrüger zu durchschauen.
    Nur Douglas Layton, der Anwalt der Investmentfirma, die das Familienvermögen verwaltete, wußte, wie verzweifelt sie nach einer Erklärung für das Verschwinden ihrer Tochter gesucht hatte. Nur er wußte, daß von den besten Privatdetektiven alle Hebel in Bewegung gesetzt worden waren, um ihr Verschwinden aufzuklären, nachdem die Polizei aufgegeben hatte.
    Aber ich hatte auch unrecht, dachte Jane Clausen. Ich habe mir eingeredet, Regina wäre durch einen Unfall ums Leben gekommen, um den Verlust erträglicher zu machen.
    In dem Szenarium, das sie sich zum Trost ausgedacht hatte, war Regina, die immer wieder wegen Herzrhythmusstörungen in Behandlung gewesen war, einem plötzlichen Herzinfarkt erlegen. So wie es ihrem Vater in noch jungen Jahren ergangen war. Irgend jemand
    – vielleicht ein Taxifahrer – hatte sich aus Angst vor Scherereien ihrer Leiche entledigt. In dieser Phantasievorstellung bekam Regina nicht bewußt mit, was mit ihr geschah, und sie litt auch nicht.
    Aber wie war dann dieser Anruf zu erklären, der Anruf von Karen, die von einem Mann berichtete, der sie gedrängt hatte, ihre Kreuzfahrt zu unterbrechen? Sie hatte von einem Ring gesprochen – einem Ring, in den die Worte »Du gehörst mir« eingraviert waren.
    Jane Clausen hatte den Spruch sofort wiedererkannt, und es hatte sie zutiefst erschüttert, die ihr vertrauten Worte zu hören. Wäre alles nach Plan verlaufen, dann hätte Regina erst in Honolulu von Bord der Gabrielle gehen müssen.
    Als sie in Hongkong nicht zum Schiff zurückkehrte und auch in Honolulu nicht auftauchte, wurden die Kleider und Wertsachen, die noch in ihrer Kabine lagerten, nach Amerika geschickt. Auf Bitten der Behörden hatte Jane die Sachen sorgfältig durchgesehen, um festzustellen, ob etwas fehlte. Der Ring war ihr aufgefallen, weil er so frivol, so ganz und gar wertlos war – ein hübscher kleiner Türkisring von der Sorte, die Touristen als Souvenir kaufen. Sie hatte gedacht, daß Regina den eingravierten Spruch an seiner Innenseite entweder nicht bemerkt oder bewußt ignoriert hatte. Der Türkis war ihr Geburtsstein.
    Aber wenn diese
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