Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
Vom Netzwerk:
Kind wurde immer kleiner. Wo war Nicole?
     
    »Komm, mein Spatz, bleib stehen, renn nicht da hin! Du tust dir doch bloß weh!«
    Warum lief das Kind vor ihm weg? Der Putzi hatte es bisher liebevoll behandelt, er hatte es gestreichelt, er hatte ihm Schlaflieder vorgesungen. Diese verdammte Putzimutter war schuld, die hatte das Kleine erschreckt. Und dann der Krach von diesem großen Hubschrauber, der hatte es völlig durcheinandergebracht. Andererseits war es ja gar nicht so schlecht, wenn das Mädchen in diese Richtung lief, hin zum Wald – zwischen den Bäumen konnten sie beide Deckung finden. Da konnten die mit zehn Hubschraubern kommen, in einen Wald konnten die nicht hineinfliegen.
    »Ja, Mädchen, lauf! Gleich haben wirs geschafft! Renn nur hinein in den –«
    Er verspürte einen monströsen Schmerz im Rücken, er hatte einen Schlag abbekommen, der ihn fast zu Boden gerissen hätte. Er strauchelte, er knickte in den Beinen ein, doch er fing sich wieder. Er versuchte weiterzulaufen, das funktionierte nicht so recht, er hatte sich einen Fuß verstaucht, vielleicht sogar gebrochen. Du verfluchte Putzimutter, wo kommst du denn auf einmal her! Er versuchte sich umzudrehen, er versuchte sich zu befreien, es war unmöglich. Sie hielt ihn umklammert. Mit der Schaufel hatte sie nichts ausrichten können, jetzt probierte sie es auf diese Weise. Aber der werd ich helfen! Er holte mit dem Arm aus und stieß mit dem Ellenbogen, so fest er konnte, nach hinten. Der Griff lockerte sich nicht, im Gegenteil, die Umklammerung wurde noch schmerzhafter und nahm ihm fast den Atem. Und jetzt schien sie ihn sogar hochzuheben, einen halben Meter, einen Meter, zwei Meter, wie konnte denn das sein? Sie raste mit ihm in voller Fahrt auf den Baum da vorne zu. Wie kann denn eine Putzimutter so stark sein?
     
    »Ziehen Sie mich hoch. Schnell!«, rief Jennerwein. Er war sich gar nicht so sicher, ob er überhaupt noch Funkkontakt hatte. Lange konnte die Schleiffahrt dicht über dem Boden nicht mehr weitergehen, da vorne stand eine Baumgruppe, und um sich selbst vom Trageseil auszuklinken, hätte er den Mann loslassen müssen. Das wollte Jennerwein auf keinen Fall. Der Mann schlug wild um sich, er rammte ihm den Ellbogen in die Rippen, immer und immer wieder. Jennerwein japste. Bald würde er keine Kraft mehr haben, diesen wütenden Berserker festzuhalten. Er spürte, wie sich ein Muskelkrampf von seinen Unterarmen bis in die Fingerspitzen ausbreitete, er spürte, wie sich sein Griff langsam lockerte, da wurde er plötzlich hochgezogen, gerade noch rechtzeitig, über eine riesige Tanne hinweg. Der Mann hörte auf zu zappeln, er konnte ihn wieder fester fassen.
    »Kommissar Jennerwein!«, hörte er Hauptmann Stechers bellende Stimme. »Sind Sie O.K.? Halten Sie durch! Wir fliegen mit Ihnen beiden über das Waldstück hinweg und setzen Sie an der nächstmöglichen Stelle ab.«
    Jennerwein hielt den Mann mit beiden Händen umklammert, er sah keine Chance, mit einer Hand loszulassen, einen zweiten Karabiner, der am Trageseil festgemacht war, zu nehmen und den Mann damit zu fixieren. Der begann sich wieder zu wehren, er brüllte unverständliche Worte und teilte Boxhiebe nach hinten aus. Der Mann war einen Kopf größer und spürbar stärker als er selbst, lange durfte dieser Hexenritt nicht mehr dauern.
    »Seien Sie endlich still! Bewegen Sie sich nicht mehr! Wenn ich Sie loslasse, stürzen Sie ab.«
     
    Das war nicht die Mutter, die Putzimutter konnte doch nicht fliegen! Das war der Vater, der aus dem Himmel heruntergekommen war und ihn jetzt holte. Aber nein, der Vater konnte es auch nicht sein, der Vater war doch in der Hölle, der Vater lag da drunten, in der Röhre, weil ihn die Putzimutter damals mit der Kohlenschaufel auf den Kopf gehauen hatte. Und mit ihm wollte sie das auch machen! Aber er war nicht so dumm wie der Vater. Wer war denn das, der ihn umklammert hielt? Und wo war das Kind, sein kleiner Spatz? Vielleicht hatte es sich ja im Wald versteckt. Hoffentlich war dem Mädchen nichts passiert. Er blickte nach unten. Zwanzig oder dreißig Meter waren sie jetzt schon in der Luft, aber es wurde nicht ruhiger, es wurde nicht leiser, so wie er das gewohnt war von den Gipfeln, wo die herrliche Stille der Berge herrschte und wo man nur die Kirchenglocken aus der Ferne hörte. DING - DONG . Warum hörte das rasselnde und pfeifende Geräusch nicht auf? Er war jetzt zu erschöpft, um sich gegen die Umklammerung zu wehren und nach hinten zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher