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Nick Perfect – Bruder per Post

Nick Perfect – Bruder per Post

Titel: Nick Perfect – Bruder per Post
Autoren: Evan Kuhlmann
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machen– aber plötzlich blieb ich wie angewurzelt stehen, als in der Kiste etwas laut und deutlich sagte: » Bonjour?« Und da fand ich die Kiste wieder interessant, denn diesmal schob ich es nicht auf meine hyperaktive Fantasie. Ich weiß, dass bonjour ein französisches Wort ist und hallo bedeutet. Meine Fantasie fantasiert bestimmt nicht aufFranzösisch.
    Und dann sagte etwas in der Kiste: » Hola?«
    Und dann sagte etwas in der Kiste: » Namaste?«
    Und dann sagte etwas in der Kiste: » Salut?«
    Und dann sagte etwas in der Kiste: » Goedendag?«
    Und dann sagte etwas in der Kiste: » Jambo?«
    Und dann sagte etwas in der Kiste: » Hallo?«
    » Hallo«, sagte ich zu dem, was in der Kiste war, und überlegte einen Moment, ob ich vielleicht durchdrehte (das kann unter zu viel Stress passieren), weil ich Stimmen aus einer Kiste hörte und der Kiste sogar antwortete. Nächste Station: Manhattan, Heim für durchgeknallte Kids…
    » Ah, schön, dass Sie mich verstehen«, sagte das Ding in der Kiste, ein bisschen gedämpft. » Glücklicherweise enthält mein Sprach-Oszillator sechsundvierzig Sprachen. Comment allez-vous? Wie geht’s?«
    » Mir geht’s gut. Und Ihnen?«, sagte ich. Ein kleiner Teil von mir fragte sich, warum ich eigentlich so höflich war. Ein anderer kleiner Teil fragte sich, was das Ding in der Kiste wohl als Nächstes sagen würde. Und der riesengroße Rest dachte: Da steckt ein lebendiger Junge in einer Kiste , die keine Luftlöcher hat .
    Ich muss ihn retten, bevor er erstickt!
    Ich rannte in die Küche und durchwühlte die Werkzeugschublade nach irgendetwas, mit dem ich die Kiste aufstemmen konnte. Während ich das tat, sagte das Ding: » Ç a va bien, merci. Mir geht es gut, danke.« Und dann: » Bonjour?«
    » Komme gleich!« schrie ich und dachte: Was hier gerade passiert, ist völlig abgefahren. Etwas Lebendiges, ein Mensch, war in dieser Kiste gefangen, und von weither, aus Frankreich, an unsere Adresse geschickt worden. Und ich redete mit ihm und plante seine Rettung!
    Ich packte einen Hammer, rannte zur Kiste zurück, zog mit den Klauen ein paar Metallklammern heraus und fing an, die Bretter loszustemmen. Es schien, als dauere das eine Ewigkeit, und zwischendurch fragte das Ding in der Kiste, was ich mache, und ich erklärte es ihm. Und ja, mir war absolut klar, wie seltsam das alles war. Es kam mir fast vor, als sei ich im Leben eines anderen Kinds, während mein wirkliches Ich in einem anderen Universum einen Käsetoast mampfte und Zeichentrickfilme guckte. Mein Hirn rotierte.
    Zuletzt warf ich zwei große Bretter beiseite und wühlte mich durch eine Schicht Holzwolle und Styroporchips, bis ein Junge auftauchte, von normaler Größe, in Luftpolsterfolie verpackt, die nur einen Teil seines Gesichts freiließ.
    Total irre! Ich meine, wie würdet ihr reagieren, wenn ihr ein lebendiges Kind in einer Transportkiste finden würdet? Ich sah nur noch Sterne und vielleicht sogar ein paar Planeten, aber ich schwöre, ich bin nicht ohnmächtig geworden. Na ja, zugegeben, es hat nicht viel gefehlt.
    » Alles okay mit dir?«, fragte ich den Jungen. » Kriegst du Luft da drinnen?«
    Da der Junge etwas auf Französisch sagte, verstand ich ihn nicht. Ich wickelte die Luftpolsterfolie auf und mir blieb fast die Luft weg– der Junge in der Kiste sah irgendwie aus wie ich! Ein ganz ähnliches Gesicht, nur seine Haare waren heller und länger, und seine Augen blauer und seine Nase war ein bisschen stupsnäsiger als meine und… hmmm, irgendwas stimmte mit seiner Haut nicht. Sie war zu perfekt. Zu rosa und glatt. Ich zum Beispiel hab eine kleine Narbe über dem linken Auge seit dem Tag, wo’s mich geschmissen hat, als ich mit meinen Eltern durch den Central Park radelte: Ich wollte einem riesigen Haufen Hundekacke ausweichen, der auf dem Weg NICHTS zu suchen hatte. Ich riss den Lenker nach links, prallte gegen einen Stein und stürzte. Schon wenn ich dran denke, tut’s wieder weh.
    Jedenfalls hatte der Junge in der Kiste keine einzige Narbe oder Schramme. Auch keine Sommersprossen oder Muttermale, Beulen oder Schrammen. Ich hätte ihn am liebsten gekratzt, damit er nicht mehr so perfekt aussah.
    Aber seine Kleidung war ziemlich normal– ein rot-weiß gestreifter Pulli, Jeans, Socken und Turnschuhe– nur diese schwarze Baskenmütze würden Kids in Amerika niemals tragen. Keine Jacke, also musste er auf seiner Reise von Frankreich nach New York gefroren haben. Aber vielleicht hatten ihn die Holzwolle,
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