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Nick Perfect – Bruder per Post

Nick Perfect – Bruder per Post

Titel: Nick Perfect – Bruder per Post
Autoren: Evan Kuhlmann
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Im Tierreich«, sagte er mit blecherner Stimme, » verstoßen Mütter in manchen Fällen ihren Nachwuchs, besonders den Kümmerling des Wurfs, wenn sie glauben, dass der Nachwuchs das Erwachsenenalter nicht erreichen wird. Diese evolutionäre Adaptation bietet zwei Vorteile. Erstens muss die Mutter keine Bindung zu einem Neugeborenen aufbauen, das vielleicht nur für kurze Zeit am Leben bleibt. Zweitens steht denjenigen Nachkommen, die mit höherer Wahrscheinlichkeit überleben, ein begrenztes Nahrungsangebot zur Verfügung, während es dem zum Sterben verurteilten Nachwuchs vorenthalten wird, was letztlich seinen vorzeitigen Tod beschleunigt.«
    Der Roboter guckte mich mit seinem verbliebenen Auge an. » Bin ich ein Kümmerling?«, fragte er. » Hat Maman mich verstoßen, weil ich bald sterben werde? Ich würde gern die Wahrheit hören, Benjamin, s’il te plaît. «
    Es bestand die Gefahr, dass sich dieser Tag wie eine jener Tiersendungen entwickelte, wo die Giraffenmama das dünne kleine Giraffenbaby verstößt und sich selbst überlässt. Ich hasse diese Sendungen! Ich wünsche dem verstoßenen Tierchen dann immer alles Gute, und dass es nicht von einem Löwen gefressen wird. Und dann kommt ein Löwe und frisst den armen Kümmerling, obwohl der Kameramann die grauenvolle Szene ja filmt und eingreifen könnte. Blöder Kameramann. Rette nächstes Mal gefälligst das Giraffenbaby, du Arsch!
    Sorry. Es macht mich einfach wütend, wenn Leute sich von hilfsbedürftigen Tieren und Menschen abwenden.
    » Du bist kein Kümmerling, du bist ein starkes, gesundes Kind«, sagte ich zu Nick. » Wenn schon, dann bin ich der Kümmerling. Und wir leben hier im Reich der Menschen und im Reich der Roboter, nicht im Reich der Tiere. Hier herrschen andere Regeln.«
    » Logikfehler«, sagte Nick, und sein Körper zitterte, als sei er nicht dafür konstruiert, mit Logikfehlern umzugehen. » Dich hat Maman akzeptiert, und mich hat sie abgelehnt. Deshalb bin logischerweise ich der Kümmerling.«
    Ich hatte keine Lust, mich drüber zu streiten, wer von uns kümmerlicher war, deshalb hob ich das weggekullerte Auge vom Boden auf. Vielleicht ging es Nick ja besser, wenn er sein Auge wieder hatte. Ich steckte den Augapfel in die Höhle, und mein Magen fühlte sich ein bisschen flau an. Pa würde das Auge später festschrauben, aber im Moment rollte es noch lose in der Augenhöhle herum. Als sei dieser Tag nicht schon irre genug.
    » Merci, mon frère«, sagte Nick, und die Linse in seinem heilen Auge zoomte ununterbrochen, als versuche er, sich daran zu gewöhnen, dass er nur einen funktionierenden Augapfel besaß. » Leg jetzt den Deckel auf meine Kiste, s’il te plaît. «
    » Aber… dann bist du ja im Dunkeln!«
    » Oui«, sagte er. » Ich glaube, das ist das Beste.«
    Da ich aber nicht der Meinung war, dass es das Beste sei, sagte ich zu Nick, wir sollten warten, bis Pa zurückkam– er wüsste, was zu tun war. Pa versuchte immer noch, Ma aus dem Büro herauszulocken. Wie es sich anhörte, würde das noch eine ganze Weile dauern.
    In diesem Moment schaltete Nick sich automatisch ab. Er war nicht im Ruhemodus, es blinkten keine Lämpchen unter seinen Augenlidern, nein, er war komplett abgeschaltet. Hätte ich gewusst, wo seine Power-Taste ist, hätte ich ihn neu gestartet und er hätte sich vermutlich wieder ausgeschaltet und ich hätte ihn wieder angeschaltet und so weiter und so fort.
    Jetzt, wo Nicks Ventilator nicht mehr surrte, konnte ich besser hören, wie Ma und Pa sich stritten.
    » Bitte, Zuckerschnecke, gib Nick eine Chance!«, sagte Pa vom Flur aus.
    » Ich bin keine Schnecke, auch keine aus Zucker«, riefMa aus dem Büro. » Entweder der Roboter oder ich.«
    Da ich mich leider nicht wie Nick automatisch abschalten konnte, drehte ich laut den Fernseher auf.

11.
    Ich erzähl euch mal was Cooles über meine Eltern: Die haben sich nur kennengelernt, weil damals in Frankreich ein Bus nicht kam.
    Mit ein paar anderen Studenten vom City College, wo Ma ihren Magister in Soziologie gemacht hat, war sie eine Weile nach Paris gegangen. Sie hat den ganzen Sommer in Frankreich verbracht, Vorlesungen besucht und Sehenswürdigkeiten angeschaut.
    Eines Tages sind sie und die anderen Studenten vom Hotel zur Busstation gelaufen, weil sie ein Kunstmuseum besuchen wollten. Sie warteten eine halbe Stunde lang, dann fragte Ma einen Passanten, ob er wisse, warum der Bus Verspätung habe. Der Mann erklärte ihr, dass in Paris die Busfahrer
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