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Nichts gegen Engländer

Nichts gegen Engländer

Titel: Nichts gegen Engländer
Autoren: Ralf Sotscheck
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minder laut, wer von beiden ihn beruhigen
muss und wer weiter am Computer spielen darf. Eine junge Frau begibt sich in
eine der Telefonzellen im Lokal und beginnt ohne Umschweife zu schreien. Sie
ist Italienerin und herrscht ihren römischen Freund an, er solle auf der
Stelle nach Mainz kommen. Was für ein Temperament, was für ein Feuer, welche
Leidenschaft - und was für eine Lautstärke! Vielleicht ist der Kerl ja ein
Sausack und lässt sie hängen. Vielleicht hat er aber auch nur Angst um seine
Trommelfelle?
    In
Rheinland-Pfalz wird ein Landtag gewählt, so ist auch die Landeshauptstadt mit
Plakaten vollgepetert. Die REP-Nazis sind, wie das halbe Land mit ihnen, auf
dem »Deutschland!«-Trip. »Deutschland ist geil«, so heißt eine ihrer Parolen,
dazu sieht man eine obenrum eher dürftig bekleidete Dame, die ihre halb
bedeckten Glocken raushängen lässt. Sind das noch unsere Nazis?
    Wenn
das der Führer wüsste! Dann ginge es ruckzuck ab - in eines dieser KZ, die es
angeblich nie gab.
    Unser
Leselokal heißt »Schick und Schön« und ist die ehemalige Wartehalle des
Bahnhofs MainzSüd; wo früher Fahrkarten verkauft wurden, befindet sich jetzt
die Garderobe. Der Laden feiert seinen vierten Geburtstag - und bekam am selben
Tag die Kündigung zugestellt. Der Veranstalter nimmt es sportlich: 14 Tage
Abschied feiern und dann weitersehen. Wir essen in einem Spätlokal,
Rindswurstriemen (Droste), Pizza Döner (Sotscheck). Muss das denn immer sein?
    Freitag 17. März: ICE Mainz-Leipzig, Bordrestaurant. Ein Fahrgast
nimmt sein volles Bierglas mit ins Abteil, der Kellner hetzt hinterher. »Das
ist verboten«, japst er. »Das mache ich seit zwei Jahren so«, kontert der Gast
und verlangt: »Rufen Sie den Schaffner! Wollen Sie mich körperlich angreifen?«
Unbeeindruckt entwindet ihm der Kellner das halb geleerte Glas, erstattet ihm
den vollen Preis und kehrt, das erjagte Gefäß stolz in der Hand, an seinen
Arbeitsplatz zurück.
    Ankunft
Leipzig 16 Uhr 40. Es schneit. Nicht nur Land und Leute sind wahnsinnig, auch
das deutsche Wetter spielt verrückt. Es ist St. Patrick's Day, der Tag, an dem
irische Amerikaner das Bier grün färben und anschließend austrinken. Unsere
Gastgeber in der Schaubühne Lindenfels haben nicht nur Blumen, sondern auch
frisches Guinness für uns - und zwei halbmeterhohe GuinnessMützen. Oha.
    Samstag, 18. März: Regionalbahn nach Torgau. Die mitreisende
männliche Fußballjugend brüllt: »Der Schaffner kommt, der Schaffner geht, der
Schaffner ist ein Scheißpaket!« Die Schaffnerin kommt und stellt ganz kühl die
wahren Verhältnisse klar. Weil man Torgau nach 22 Uhr mit öffentlichen
Verkehrsmitteln nicht mehr verlassen darf, heißt es: Taxi nach Leipzig. Wie der
Titel der ersten »Tatort«-Folge, mit Kommissar Trimmel.
    Sonntag, 19. März: Mit dem ICE nach Berlin, das sich von seiner
wahren Seite zeigt und es schneeregnen lässt. Schnee, in dem Hundsgekötertes
zerfließt: dett is Ballin. Aber nicht mehr meins. Dass es zum Leben der
Schönheit bedarf, hat sich bis nach Berlin nicht herumgesprochen; nur Blinde
wie Wim Wenders wähnen hier einen Himmel. Ralf und ich nehmen Abschied -
voneinander, von der Lesereise und von Berlin, im Cafe Kreuzberg, bei berauschender
Musik und berauschendem Wein. Anderntags fliegt Ralf Sotscheck zurück nach
Irland, und auch ich fand eine Antwort auf die alte Frage, wo ich mich
hinwenden möchte.

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