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Nichts gegen Engländer

Nichts gegen Engländer

Titel: Nichts gegen Engländer
Autoren: Ralf Sotscheck
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nicht rot. Zwar ist
Ralle kein gebürtiger Ire; zur Welt kam er in Berlin, weshalb er Hertha BSE
immer noch sentimental für einen Fußballverein hält, und von den fernen
irischen Gestaden aus mag das für einen Brillenträger ja auch so aussehen. Ralf
ist irischer Staatsbürger und seit 30 Jahren mit einer Irin verheiratet; seine
Tochter und sein Sohn sind Iren, er lebt in Dublin oder Fanore an der
Westküste, er ist gastfreundlich, gesellig und großherzig, viele seiner
zahlreichen Freunde sind Iren. Viel mehr Ire ist für einen Berliner nicht drin.
    Wie
alle Iren schätzt Ralf Sotscheck die Engländer nicht sonderlich. Man kann das
verstehen; die Engländer haben sich den Iren gegenüber viel zu lange viel zu
schäbig aufgeführt. Sie ließen irische Männer für Hungerlöhne in England arbeiten,
sie massakrierten die Iren, sie ließen sie rentabel verhungern, und in
Nordirland sind sie noch immer Besatzungsmacht. Weil Ralf in Nordirland-Komitees
tätig war und sein Schwiegervater in der IRA eine nicht unbedeutende Rolle
gespielt hatte, schikanierten die britischen Behörden Ralf Sotscheck bei jeder
Einreise, es solange es nicht möglich war, direkt von Deutschland nach Irland
zu gelangen und man via London fliegen musste. Die Drangsal ihrer Zöllner und
Polizisten lehrte Ralf, den Briten nicht gewogen zu sein.
    Diese
Abneigung, und sei sie noch so wohl begründet, trübt den Blick. Die Ablehnung
eines spezifischen Volkes führt dazu, andere Völker unverhältnismäßig milde zu
betrachten und zu beurteilen. Ralf, obwohl in Deutschland aufgewachsen, sah
für meinen Geschmack etwas sehr undifferenziert freundlich auf die Deutschen,
die er nur noch aus der Perspektive des Besuchers wahrnahm. Dieser Blick sollte
sich schärfen: Im März 2006 gingen wir neun Tage auf Lesereise durch
Deutschland, und weil ich damals freitags auf der Wahrheitseite der taz kolumnierte (was Ralf bis heute jeden Montag immer noch tut), ließen unsere
Veranstaltungen »Wahrheit hoch zwei«; der Zeichner TOM setzte das mit großer
komischer Kunst ins Bild. Und nun genug erklärt; hier kommt sie, die Chronik
unserer Abenteuer.
    Samstag, 11. März 2006: Strecke Berlin-Hamburg, ICE,
Speisewagen, Verzehr: 1 Kaffee, 1 Wasser, 2 Obstsalate, 14,60 Euro.
Mitreisender des Tages: ein Besucher der Internationalen Tourismus Börse ITB,
Zopfträger, Mütze und Jacke mit circa 300 Ansteckern von Fluglinien und
Reiseveranstaltern gespickt, setzt sich zu uns an den Tisch, spricht mit sich
selbst, arbeitet sehr ernst etwa 120 Prospekte durch, stöhnt heftig und rülpst
stark. Umbenennung des Speisewagens in »LandesKrankenHaus unterwegs«, Jingle:
»Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause - LKH«. Erkenntnis des Tages: »Was die
Leidensfähigkeit stärkt, adelt den Menschen« (Droste); Kalauer des Tages: »Die
Bahn ist mir ein Mehdorn im Auge« (Sotscheck, drei Euro Strafgebühr); toz-Satz
des Tages: »Der Trend zur Klassengesellschaft wird sich verstärken« (Ulrike
Herrmann, Seite 1). Wir werden nachdenklich: Ist unsere bislang so klassenlose
Gesellschaft wirklich gefährdet?
    Sonntag, 12. März: Hamburg, Schauspielhaus, Theaterkantine, Ulla
Rowohlt spricht. »Wichlaf, du hast unheimlich lange Wimpern. Ich hatte auch mal
lange Wimpern, aber ich habe sie mir versengt. Beim Bananenflambieren. Das hab
ich in Paris gelernt.« Gericht des Tages: Flambierte Bananen mit Wimpernasche.
    Montag, 13. März: IC Hamburg-Osnabrück. Tageslosung: »Der Käse
gewinnt immer« (Sotscheck). Im Bahnhof ein Junge mit einer Schachtel Pommes
Frites; Schlüsselreiz. Also Currywurst mit Pommes weiß (Droste) und Currywurst
mit Schaschlik (Sotscheck), dank artistischer Esskünste ohne Folgen für die
Garderobe. Anschließend Irritation: Nicht ein Hauch von Übelkeit. Was soll
das? Warum hat man das dann aufgegessen? Ist denn alles vergeblich? Erkenntnis des Tages:
»Sometimes all of our thoughts are misgiven.« (Led Zeppelin, »Stairway to heaven«).
    An
der Hotelzimmertür in einer Plastiktüte Deutschlands aufdringlichste
Verschenkzeitung, Die
Welt. Eckhard Fuhr nimmt im Feuilleton seinen »Abschied vom
Stecher«. Der alte Traum, die Zeitschrift Frau und Hund, ist endlich in die
Wirklichkeit erlöst: »Es ist für den Außenstehenden schwer zu ermessen, welche
Bedeutung der Abschied vom Stecher für die Schießkultur hat. Den Stecher gab
es in zweierlei Form: als deutschen Doppelzüngelstecher und als französischen
Rückstecher.«
    IC
Osnabrück - Dortmund 30 Minuten verspätet.
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