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Nichts gegen Engländer

Nichts gegen Engländer

Titel: Nichts gegen Engländer
Autoren: Ralf Sotscheck
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den Wangenknochen. Die Ärzte mussten mit der Operation
48 Stunden warten, bis der Alkohol abgebaut war.« Ein großartiges Erlebnis, von
dem man zu Hause stolz berichten kann. Eva wurde am letzten Tag zur »Miss
Carolina« - nach dem Wohnblock mit hundert Apartments - gewählt. Es war kein
herkömmlicher Schönheitswettbewerb, sondern eine Art Dreikampf: Sie musste so
viele Männer wie möglich in 30 Sekunden küssen, dem Publikum die Hemden
abschwatzen und ein Fotomodell auf dem Laufsteg nachahmen. Zur Belohnung
erhielt sie einen mit Sangria gefüllten Pokal, der den gnädigen Mantel des
Vergessens über den restlichen Abend breitete.
    Die
sechs Frauen aus London hatten sich vor dem Rückflug ihre im Kampftrinken
errungenen Medaillen ans Revers geheftet. »Sie werden uns in London für das
olympische Team halten«, hoffte eine der Sombreroträgerinnen. Die erste Frage,
die ihnen der Zöllner auf dem Londoner Flughafen stellte, lautete: »Na, wie
war's in Santa Ponza?«
    Alkohol
und schlechtes Benehmen haben heutzutage die gleiche Wirkung wie früher der
Schnurrbart: Sie sollen den kolonisierten Völkern - und dazu gehören die Prager
und die Mallorquiner im Sommer - Angst einjagen und Potenz demonstrieren.
    Piers Brendon
schreibt in seinem Buch »The Decline And Fall Of The British Empire«, dass der
Rückgang des Schnurrbarts den Untergang des britischen Weltreiches exakt
widerspiegele - vom mächtigen Gesichtsbusch Lord Kitcheners, Oberbefehlshaber
im Burenkrieg und Kriegsminister im Ersten Weltkrieg, bis hin zu Anthony Edens
traurigen Stoppeln während der Suezkrise 1956.
    Ebenso
wie den britischen Soldaten vor ihrem Afghanistan-Einsatz nahe gelegt wird,
sich einen Bart wachsen zu lassen, so schafften sich auch die Truppen der East
India Company in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Bärte an, um beim
Kolonialvolk Eindruck zu machen. Ab 1854 war der Bart sogar Pflicht für die
Soldaten des BombayRegiments. Die Mode breitete sich schnell in der Heimat
aus, Barbiere zelebrierten ihre Kunst, die Barte mit Hilfe von Wachs wie Säbel
oder Bayonette zu formen. Spätestens nach dem Kampf um den Suezkanal gehörten
Weltreich und Riesenschnurrbart jedoch der Vergangenheit an.
    Doch
zurück zu den englischen Urlaubsfreuden: Die höheren Einkommensschichten zieht
es im Sommer nach Frankreich, weil das als chic gilt. Das gute Essen, der feine
Wein und das verlässliche Klima locken jedes Jahr rund neun Millionen
Engländer an. Das bedeutet freilich nicht, dass die Franzosen in der englischen
Gunst höher angesiedelt sind als andere Nationen - im Gegenteil. Der Engländer
ist davon überzeugt, dass die Franzosen kein Recht haben, in Frankreich zu
wohnen. Für kein anderes Volk hält die englische Sprache auch nur annähernd so
viele abwertende Begriffe bereit. Die Deutschen kommen mit den »German measles«
genannten Masern vergleichsweise glimpflich davon.
    Obszöne
Zeichnungen sind »French postcards«, Prostituierte heißen »French Consular
Guards«, und wer ihre Dienst in Anspruch nimmt, erhält »French lessons«. Wenn
er Pech hat, fangt er sich dabei Syphilis ein, die »French disease«. Um sich
davor zu schützen, trägt er einen »French letter« beim Geschlechtsverkehr, über
den der Engländer freilich nicht spricht.
    Die
Franzosen müssen aber nicht nur beim Sex herhalten, sondern in allen schiefen
Lebenslagen: Wer einen Fasan außerhalb der Jagdsaison erlegt, hat eine
»französische Taube« erschossen, wer sich unerlaubt von der Truppe entfernt,
nimmt »French leave«, und wer lauthals flucht, entschuldigt sich mit den
Worten: »Pardon my French.« Der englische Gelehrte Samuel Johnson behauptete
einmal, das französische Nationalsymbol, der gallische Hahn, sei einem
Wetterhahn nachempfunden, weil der sich stets nach dem Wind ausrichte.
    Nun
ist Frankreich aufgrund des Kanaltunnels näher gerückt, worüber auf englischer
Seite wenig Freude herrscht. Als der französische Präsident Francis Mitterrand
und die britische Premierministerin Margaret Thatcher am 12. Februar 1986 in
Canterbury den Vertrag über den Kanaltunnel unterzeichneten, bewarfen
englische Tunnelgegner den Rolls-Royce des Präsidenten mit Eiern, und die Menge
schrie: »Froggy, Froggy, Froggy, out, out, out!« Frösche - das ist das
Schimpfwort für Franzosen. Die Bewohner der Hafenstadt Dover halten den Tunnel
heute noch für die größte Gefahr, seit Hitler 1940 in Calais durch sein
Fernglas spähte und die Burg von Dover aus dem 12.
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