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Nichts bleibt verborgen

Nichts bleibt verborgen

Titel: Nichts bleibt verborgen
Autoren: Knut Krueger
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nach, spurtete im Slalom durch die nach unten drängenden Menschen, während ihm treibender Schnee die Augen verklebte.
    Wie im Blindflug erreichte er die lange Rampe, die von einer zentimeterdicken Schneeschicht bedeckt war. Schritt für Schritt kämpfte er sich auf dem knirschenden Untergrund nach oben. Die schweren Stiefel hingen wie Bleigewichte an seinen Füßen. Obwohl er all seine Kraft mobilisierte, hatte er das Gefühl, sich in Zeitlupe zu bewegen. Peitschende Böen warfen ihn hin und her. Ließen ihn schwanken wie einen Matrosen auf hoher See.
    Er blieb stehen und rang nach Luft. Schneeflocken flogen in seinen offenen Mund. Seine Lungen brannten. Keuchend strich er sich die klatschnassen Haare aus der Stirn und spähte nach oben. Der Schneefall war so dicht geworden, dass er glaubte, gegen eine weiße Wand zu blicken. Irgendwo hinter dieser weißen Wand musste Erik sein, der vermutlich inzwischen die weite Fläche des Dachs erreicht hatte. Alexander drehte sich einmal um die eigene Achse. Kein Mensch, so weit das Auge reichte. Alle waren vor dem tosenden Schneesturm geflohen. Es war, als wäre man allein auf der Welt.
    Kurz darauf spürte er, dass er das Ende der Rampe erreicht hatte. Sofort schlug ihm eine heftige Böe entgegen. Er verlor das Gleichgewicht und landete schmerzhaft auf der Hüfte. Schnell rappelte er sich auf, ohne sich den Schnee abzuklopfen. Hier oben konnte sich der Sturm, den er auf der Rampe nur ansatzweise gespürt hatte, ungehindert austoben. Alexander hatte fast jegliche Orientierung verloren, taumelte aber in die Richtung, in der man bei klarer Sicht weit auf den Fjord hinausblicken konnte. Dorthin, wo sich irgendwo die Kante befand, hinter der es steil in die Tiefe ging.
    Vor ihm zeichnete sich die Silhouette einer schwankenden Gestalt ab. Alexander konnte nicht gleich erkennen, ob sie ihm das Gesicht oder den Rücken zukehrte. Vorsichtig, die Arme eng an den Körper gedrückt, um den Böen nicht zu viel Angriffsfläche zu bieten, tastete er sich näher an sie heran. Der stürmische Wind schien ein wenig abzuflauen. Dafür ging der Schnee nun wie aus Eimern nieder.
    Er wusste nicht, ob Erik ihn schon gesehen hatte. Doch im nächsten Moment hörte er seine aggressive Stimme wie aus großer Ferne, so als brauche sie ein paar Sekunden, um in der schneegesättigten Luft zu ihm durchzudringen. »Hau ab! Verschwinde!«
    »Ich weiß alles!«, rief Alexander ihm zu.
    »Du weißt gar nichts!«, brüllte Erik.
    Sie machten ein paar Schritte aufeinander zu. Umkreisten sich wie zwei lauernde Boxer, die auf eine günstige Gelegenheit zum Angriff warten. Ihr rhythmisches Keuchen schlug den Takt dazu.
    »Du wolltest Magnus … den Brand in die Schuhe schieben!«
    »Blödsinn! Warum sollte ich das tun?«
    »Um dich dafür zu rächen, dass dein Vater …«
    »Lass meinen Vater aus dem Spiel!«, schnitt ihm Erik das Wort ab und schlug nach ihm, obwohl Alexander außerhalb seiner Reichweite war.«
    »Warum? Weil dein Vater … im Knast war?«, rief Alexander höhnisch.
    »Ich warne dich!«, fauchte Erik.
    »Oder weil du … genauso kriminell bist wie er … Erik Enger!«
    Erik stieß einen gellenden Schrei aus und rammte seinem Kontrahenten den Kopf in den Bauch. Alexander klappte stöhnend zusammen und riss Erik mit sich zu Boden. Ineinander verkeilt rollten sie über das Dach wie eine lebendige Schneewalze. Prügelten besinnungslos aufeinander ein.
    Irgendwann bekam Alexander einen Jackenkragen zu fassen und drückte ihn mit beiden Händen zusammen. Erik japste nach Luft. Sein Hinterkopf wurde in den Schnee gedrückt. »Dein Vater ist ein Betrüger«, zischte Alexander.
    Erik bekam seinen rechten Arm frei und schmetterte Alexander seine Faust aufs Ohr. Der sank stöhnend zu Seite. Erik war im nächsten Moment über ihm. »Magnus’ Vater hat ihn dazu gezwungen …«, keuchte er. Speichel flog ihm aus dem Mund. Seine Augen glühten. »Aber dem Scheißkerl konnte man nichts nachweisen.«
    »Und dafür …«, ächzte Alexander, »sollte Magnus jetzt büßen?«
    »Na und!«, brüllte ihm Erik ins Gesicht. »Was ist das schon im Vergleich zu dem, was wir durchmachen mussten? Die haben unser Leben zerstört!«
    Alexander stieß einen gequälten Laut aus, weil er in diesem Moment begriff, dass Erik ihn schon ein Stück weit den niedrigen Mauervorsprung hinaufgeschoben hatte, der sich direkt an der Dachkante befand. Er drehte panisch den Kopf und starrte in die bodenlose Tiefe. Verzweifelt schlug er um
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