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nichts als die wahrheit

nichts als die wahrheit

Titel: nichts als die wahrheit
Autoren: Anne Chaplet
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schönen Fest leer ausgeht?«
    Herta meinte es gut, wie immer. Anne grinste zurück. Mit einem Mal fühlte sie sich nicht mehr wie im Kino, als unbeteiligte Zuschauerin, sondern war mitten drin im Film, alles in Farbe, volle Lautstärke. Um sie herum klapperten Messer und Gabeln, redeten Männer und Frauen aufeinander ein, wurden große Krüge über den Tisch gereicht, tobten Kinder, drehten dienstbare Geister die Grillspieße, heulte der Hund, jubelte die Geige, begleitet vom aufgeregten Geschnatter und Trompeten der Enten und Gänse, die, ein paar Schritte vom Hof entfernt, auf der Wiese am Löschteich grasten. Und das alles sollte sie verlassen? Anne kam sich plötzlich zugleich fahnenflüchtig und unentbehrlich vor. Was war, wenn Rena …? Und hatte sie ihr eigentlich schon gesagt …? Und würde ihre Tochter von allein daran denken …?
    Sie schlug sich die Hand vor den Mund und guckte zu Rena hinüber, die mit erhobenen Händen auf den Tierarzt einredete. Otto Grün hielt den Kopf gesenkt und schüttelte ihn ab und an bedächtig. Anne konnte sich denken, worum es ging. Der Veterinär hatte schon vor drei Wochen gesagt, daß der alte Pjotr es nicht mehr lange machen würde. Es wäre besser, man erlöste ihn von seinen Qualen. »Aber er quält sich doch gar nicht!« hatte Rena damals mit Tränen in den Augen gesagt – sie war mit dem gescheckten Wallach aufgewachsen. »Weiß man’s?« hatte Otto erwidert.
    Rena hat den Hof fest im Griff, redete Anne Burau sich ein, auch wenn sie erst achtzehn ist. Außerdem war sie nicht allein. Da war Krysztof. Und Ivanka. Und Otto Grün, für den Notfall. Anne wurde nicht mehr gebraucht. »Wir haben schließlich schon öfter auf dich verzichtet!« hatte Rena gestern wegwerfend gesagt – mit jener Herzlosigkeit, die bei Menschen ihres Alters als guter Ton galt.
    Der kräftige Schlag auf die Schulter traf sie unerwartet. Sie schrie leise auf. »Na? Kannst’ schon jetzt nichts mehr vertragen, du Strich in der Landschaft?« dröhnte Martins Stimme zu ihr herunter. »In drei Monaten kriegst’ wahrscheinlich keine halbe Sau mehr gehoben! Und wennst’ nix ißt …« Seine Hände zeichneten eine übertrieben schlanke Silhouette in die Luft. Alle an ihrem Tisch lachten.
    »Aktenstemmen als Ausgleichssport!« rief einer am Nebentisch.
    »Hammelsprung! Damit verschaffen sich deutsche Abgeordnete Bewegung!«
    Anne lächelte matt. Wie sich Politikerwitze doch gleichen. Unwillkürlich inspizierte sie ihre Hände. Wahrscheinlich hatte Martin recht. Schon bald würde ihnen niemand mehr ansehen, daß sie einer Bäuerin gehörten. In kürzester Frist würden sich ihre Beine wieder an höhere Absätze gewöhnt haben. Und mit der Zeit …
    Sie atmete tief durch. Bei aller Wehmut über den Abschied – plötzlich schien es ihr nicht mehr unmöglich, das neue Leben zu genießen. Ein Leben ohne Gummistiefel und Stallgeruch und ohne das ewige Dilemma der Landfrau – nämlich, daß es sich eigentlich nicht lohnte, was Schönes anzuziehen, weil man sich sowieso gleich wieder einsaute. Ein Leben, in dem Kostüm und kurzer Rock, Strumpfhosen und Make-up und Parfüm, nicht zu vergessen die Aktentasche, so lebenswichtige Requisiten waren wie hier die Leggins, die Birkenstocksandalen und das Gummiband für die Haare.
    »Und? Bist du noch hier oder schon dort?« Paul Bremer stand neben ihr, mit einer steilen Falte über der Nase. Sie rutschte auf der harten Bank ein Stück zur Seite, um ihm Platz zu machen.
    »Du weißt doch, Paul – ich bin immer an zwei Stellen gleichzeitig.« Sie versuchte es mit einem unbefangenen Lächeln. »Mindestens.« Er setzte sich nicht. Die alte Leichtigkeit zwischen ihnen schien verflogen.
    Trotzig sagte sie sich, daß es ihr egal sein konnte, was Paul Bremer davon hielt, daß sie es noch einmal versuchen wollte mit der politischen Karriere. Und daß es ihr wurscht war, daß er ihre Entscheidung als Flucht auffaßte. Passenderweise drehte er ihr in diesem Moment den Rücken zu, um Marianne zu begrüßen, die ihm wie zufällig den Ellenbogen in die Seite gestoßen hatte und jetzt irgend etwas von ihm wollte. Wenigstens mußte Marianne jetzt nicht mehr eifersüchtig sein.
    Anne drehte sich wieder zum Tisch hin und gabelte ohne großen Appetit ein Stück Fleisch vom Teller. »Warum?« hatte Paul sie damals gefragt, mit einer Enttäuschung in der Stimme, die ihr kindisch vorgekommen war. Wohl deshalb hatte sie heftiger reagiert, als nötig gewesen wäre.
    »Weil ich nicht
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