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Nicht Totzukriegen

Titel: Nicht Totzukriegen
Autoren: Claus Vaske
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verbringst.«
    »Und wenn schon, hab ich’s nicht verdient?«
    »Hey, du stehst unter Schock, du bist nicht zurechnungsfähig. Ich mach das. Wo sind eure Skier?«
    »Im Keller. Wieso?«
    »Hol den Skisack!«
    Wenig später zieht sich über Toms friedvollem Gesicht der Reißverschluss zusammen, mit viel Mühe schleppen wir den schweren Skisack hinunter in die Garage. »Warum hast du keinen Jockey geheiratet?«, flucht Maryam, »klein, leicht und passt zur Not auch ins Handgepäck.« Davon abgesehen gibt sie nur noch knappe, klare Anweisungen. »Schlüssel«, verlangt sie, als wir am Auto stehen.
    »Das ist Toms Auto.«
    »Heißt?«
    »Er hat ihn.«
    »O nein.«
    Wir müssen den Sack noch einmal öffnen, es lässt sich nicht vermeiden.
    Ich durchwühle die Taschen eines Toten, vor Scham würde ich am liebsten im Boden versinken. Maryam schaut mir betreten zu, bis sie auf einmal ganz neugierig guckt, sie beugt sich interessiert vor.
    »Stimmt es, dass Tote eine Erektion haben?«, fragt sie, ausgerechnet als ich mit meiner Hand ganz tief in seiner Hosentasche herumfummele.
    »Was?«
    »Einen Steifen, hat er einen Steifen? Das wollte ich immer schon mal wissen, ob sie –«
    »Sag mal, hast du sie noch alle? Das ist mein Mann!« Wie kann man nur so taktlos sein! Zum Glück habe ich den Schlüssel endlich gefunden.
    »Sorry, wollt’s nur wissen. Ich fahre«, beschließt sie und nimmt mir den Schlüssel ab, »du bist dazu nicht in der Lage.«
    »Aber ich will nicht, dass du dich strafbar machst. Du riskierst doch deine Zulassung!«
    »Keine Sorge«, stellt sie lapidar fest, »Mord ist eine Straftat. Die Leiche verschwinden zu lassen ist nur eine Ordnungswidrigkeit. Das heißt, du hast hier ein Problem, nicht ich.«
     
    Keine Ahnung, wo Maryam mit Tom und mir in dieser Nacht langgefahren ist, zum Schluss landen wir auf einem schmalen Waldweg, und an irgendeiner Stelle halten wir an. »Wir sind da«, verkündet sie. Wir zerren Tom aus dem Kofferraum, dann schleppen wir ihn gemeinsam vom Auto weg in den Wald. Ich schau mich um; nur ein paar Meter entfernt fällt ein Abhang steil ab zu einem See, wahrscheinlich ein alter Steinbruch.
    Maryam lässt mir noch Zeit, um Abschied zu nehmen, dann beschwert sie den Skisack mit herumliegenden Steinen, wir schließen den Reißverschluss und rollen Tom den Abhang hinab. Langsam versinkt er im Wasser. Am liebsten würde ich gleich hinterherspringen, dann hätte ich es hinter mir, aber Maryam zieht mich weg: »Komm, wir gehen.«
    Lange Zeit fahren wir schweigend durch die Nacht, aber eines frage ich mich bereits, seit Maryam bei mir angekommen ist: »Woher weißt du so genau Bescheid, wie man eine Leiche entsorgt?«
    »Geht dich nichts an.
    »Hm. Hast recht.« Ich beschließe, wieder zu schweigen.
    »In Gedanken habe ich jeden Kerl, mit dem ich zusammen war, mindestens einmal umgebracht! Ich hab alles minutiös geplant und mehrfach durchgespielt.«
    »Ist das normal?«
    »Normal? Keine Ahnung. Aber es erleichtert das Zusammenleben ungemein.«

51
    Mein erster Tag als Witwe. Ich bin wie gerädert, und mein Nacken tut weh; weil es mich vor unserem Schlafzimmer grauste, habe ich es vorgezogen, im Wohnzimmer auf dem Sofa zu übernachten, von Schlafen konnte keine Rede sein. Aber das ist halb so wild. Schlimmer sind die Schuldgefühle. Ich habe wach gelegen und versucht, mir einzureden, dass alles nur ein Unfall war. Hat nicht geklappt, stattdessen fing ich an zu grübeln, was ich alles falsch gemacht habe, und irgendwann war die Liste so lang wie der Kassenzettel vom Wochenendeinkauf. Dann habe ich überlegt, ob ich eine miesere Type als mich selbst kenne. Mir ist niemand eingefallen. Ich hasse mich, am liebsten würde ich demonstrativ das Zimmer verlassen, wenn ich hereinkomme. Deshalb fand ich es heute Morgen auch nur gerecht, als ich mir an der Espressomaschine die Finger verbrannt habe. Und schon musste ich wieder an Tom denken, dem das so oft passiert ist. Ich lebe allein auf 149 Quadratmetern, die mit Erinnerungen an ihn vollgestopft sind, und niemand ist da, dem ich mein Herz ausschütten könnte. Nicht mal MacLeod. Der Rest meines Lebens wird die reinste Hölle, so viel steht fest, ich kann höchstens noch ein bisschen an der Temperatur rumfummeln, vielleicht kühlt sie, wenn ich Glück habe, mit der Zeit ein bisschen ab.
    Bevor Maryam gestern Nacht gefahren ist, hat sie mir noch eingeimpft, wie ich mich zu verhalten habe:
    Benimm dich ganz normal, du weißt von nichts.
    Sei
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