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Nicht ganz sauber

Nicht ganz sauber

Titel: Nicht ganz sauber
Autoren: Justyna Polanska
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Kopf getroffen. Heute weiß ich, wie viel ich ihr zu verdanken habe. Ohne ihren Artikel wäre die Welle nie gestartet. Aber eines nach dem anderen. Ich genoss jeden Buchstaben.
    Ich stand immer noch auf dem Bürgersteig mit der aufgeschlagenen Zeitung in den Händen, während meine Schwester mich umkreiste wie eine Raubkatze ihre potenzielle Beute und mit ihrem ungeduldigen Blick bat, schneller zu lesen. Je näher ich dem Ende des Artikels kam, desto ruhiger wurde ich. Ich fühlte eine wohlige Wärme in meinem Körper hinaufsteigen. Ich konnte mir nun gewiss sein, dass in diesen Zeilen, deren Inhalt sich um mein Leben drehte, nichts Böses oder Gehässiges stand. Im Gegenteil, sie meinten es gut mit mir. Wollten mir nicht an den Kragen oder sich über mich lustig machen. Ich fühlte mich ernst genommen. Akzeptiert. Gehört. Das Piepsen einer SMS riss mich aus meinen Tagträumen.
     
    »Hallo, Justyna. Bitte morgen die Biotonnen auf die Straße schieben und den Meerschweinchenstall säubern. Danke.«
     
    Auch wenn die Presse über mich schreibt. Ich bleibe nun mal, wer ich bin. Nicht mehr und nicht weniger. Eine Putzfrau.

Schlaflos in Warschau
    N ach dem Zeitungsartikel ging alles Schlag auf Schlag. Da niemand meine wahre Identität kannte, kamen alle Interviewanfragen über den Verlag. Und da ich nur über Handy erreichbar war und bin, brummte es in meiner Hosentasche den ganzen Tag. Von neun Uhr bis zwanzig Uhr. Ich musste meinen Klingelton ausstellen, denn tagsüber war ich ja immer beim Putzen. Bei einem meiner Kunden, einem netten älteren Herrn, der immer zu Hause ist, wenn ich putze, brummte es so oft in meiner Hose, dass er auf einmal sagte:
     
    »Fräulein Justyna, entweder Sie haben einen eifrigen Verehrer oder wieder eine neue Stellenanzeige geschaltet. Sie werden mir doch nicht untreu werden.«
     
    Ich lächelte, schüttelte den Kopf und versicherte ihm, dass ich ihm stets treu bliebe. Wenn er nur wüsste …
     
    Um der Menge an Interviewanfragen gerecht zu werden, einigte ich mich mit dem Verlag darauf, von Anrufen auf meinem Handy abzusehen. Stattdessen verbrachte ich lieber eine halbe Stunde pro Tag am Telefon mit der Pressestelle, um sämtliche Interviewtermine zu koordinieren und im Anschluss daran wahrzunehmen. So konnte ich ungestört meinem Hauptberuf nachgehen, ohne ständig angebrummt zu werden. Auf diese Weise gelang es mir, zunächst nur am Telefon Interviews zu geben, mit Radiostationen und Zeitungsredaktionen. Stets rief ich sie mit unterdrückter Nummer zurück und konnte so meine Anonymität wahren. Nach einer Weile war ich so routiniert, dass ich die Antworten zu den Fragen herunterbeten konnte, ohne wirklich zuzuhören. Denn es waren immer die gleichen. Doch dazu später mehr.
     
    Eines Morgens, als ich wieder den vereinbarten Telefonanruf beim Verlag tätigte, entwickelten sich die Dinge dann sogar noch eine Spur weiter. Die nette Dame von der Pressestelle, ohne deren Stimme ich mir einen Morgen während der Woche schon gar nicht mehr vorstellen konnte, sagte:
     
    »Herzlichen Glückwunsch, Sie haben die erste Anfrage für einen Fernsehauftritt.«
     
    Ich musste mich setzen. Auch das werde ich nie vergessen: Ich saß auf meiner Couch im Wohnzimmer und starrte für ein paar Sekunden wie unter Hypnose auf den ausgeschalteten Fernseher.
     
    »Hallo? Sind Sie noch da?«
     
    »Ja, ja, das bin ich. Entschuldigung. Ja, ich bin da. Welcher Sender? SAT.1, RTL? ARD oder ZDF?«
     
    »Nein, es ist ein polnischer Sender, der sie zu seiner Morgenshow nach Warschau einladen möchte.«
     
    Mir wurde übel. Nach Polen? Ich? Das konnte nichts Gutes verheißen. Die können mich nicht mögen. Eine Landsmännin, die in Deutschland Erfolg hat. Das würde Neid erwecken. Oder würden sie sich mit mir freuen? Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. Instinktiv wäre ich in diesem Moment gerne wieder ein kleines Kind gewesen und hätte mich im Schoß meiner Mutter vergraben. Aber da ich nun mal kein Kind mehr und so ziemlich auf mich allein gestellt war, rang ich um Fassung.
     
    »Ein Fernsehauftritt? Wie schön, ich freue mich!«
     
    Was für eine Lügnerin ich doch war.
     
    Die kommenden Tage konnte ich an nichts anderes mehr denken. Gedanklich spielte ich, während ich Gläser spülte, Böden wischte und Klos schrubbte, immer wieder meinen Auftritt durch. Einmal sah ich mich eine goldene Treppe hinunterschreiten, in einem goldenen Abendkleid. Wie in Hollywood. Ein anderes Mal sah ich mich
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