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Nicht ganz sauber

Nicht ganz sauber

Titel: Nicht ganz sauber
Autoren: Justyna Polanska
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Alters abgeholt. Entgegen meiner Vorstellung trug er statt eines schwarzen Anzugs und einer Chauffeursmütze verbeulte Jeans, Basketballschuhe und ein weit aufgeknöpftes, schwarzes Hemd. Er war sehr locker und redselig, und so verging die Zeit im Auto wie im Fluge. Wir plauderten über Gott und die Welt, und ich war dankbar, dass er der erste Mensch war, den ich nach meiner Landung in Polen antraf. Er nahm mir eine große Portion meiner Angst, und ich spürte zum ersten Mal so etwas wie ein freudiges Kribbeln in meinem Bauch. Leider bekam ich ihn nach der Ankunft im Studio nie wieder zu sehen. Er übergab mich in der Lobby der Fernsehstation, die sich am Rande von Warschau in einem modernen Palast aus Glas und Stahl befand, einer hektischen jungen Frau mit gefärbten roten Haaren, die mich dann zu einem anderen Herren brachte. Sie und ihre Haarfarbe blieben mir deshalb so sehr im Gedächtnis, weil ich, während ich mit ihr endlos scheinende Korridore entlangschritt, mich auf ihren Kopf konzentrierte und mich fragte, wie oft sie wohl ihre Haare färbe. All das tat ich, um meine wieder neu aufkeimende Angst zu verdrängen. Aber wie gesagt, eigentlich hatte ich überhaupt keine Zeit für solch gedankliche Exkursionen.
     
    Die Menschen im Sender waren allesamt nett zu mir, aber nicht so herzlich wie mein Fahrer. So wurde ich allen möglichen Leuten vorgestellt, schüttelte an die zehn verschiedene Hände. Ich wurde aufgeklärt, wann ich morgen vom Hotel abgeholt würde, wann ich in der Maske sein müsste und wie lange mein Auftritt dauere.
     
    Ich wandte mich an einen der verantwortlichen Redakteure: »Können Sie mir denn sagen, was genau mit mir morgen passiert?«
     
    »Sie werden den Zuschauern vor den Fernsehern erzählen, wer Sie sind und warum Sie ein Buch geschrieben haben. So ungefähr. Das wird eine ganz entspannte Sache. Glauben Sie mir.«
     
    Diese Antwort befriedigte mich nicht wirklich, ich hatte aber nicht den Mut weiterzubohren. So wurde ich nach dieser kurzen Unterweisung einen Gang weiter geschoben, bis ich in einer riesigen Kleiderkammer stand. In der Garberobe wurde mir ein Outfit verpasst. Da ich darauf bestanden hatte, unkenntlich gemacht zu werden, einigten wir uns auf eine Perücke und ein »meine Person veränderndes« Outfit. Ich dachte, aus mir würde eine rassige Schwarzhaarige werden oder ein rothaariger Vamp. Weit gefehlt. Meine Verkleidung war so grotesk, dass ich, noch in der Garderobe stehend, meiner Schwester eine MMS schickte. Das Bild von mir, das ich ihr sendete, betitelte ich mit »Kein Kommentar, bitte!«.
     
    Woraufhin sie antwortete: »Alles klar, Oma. Ich werde nichts sagen …«
     
    Und da stand ich nun. Mein erster Auftritt im Fernsehen ist zum Greifen nahe. Ich bin in Polen und trage einen grauen Rock, graue Wollstrümpfe und eine graue Lockenperücke. Darüber eine braune Bluse mit einer riesengroßen Schleife. Mein Ebenbild. In 50 Jahren. Unfreiwillig begann ich zu lachen. Die putzende Oma …
     
    Schlaflos in Warschau – das war ich in der darauffolgenden Nacht definitiv. Meine anfänglich ausschließlich vorhandene Angst war einer Mischung aus Vorfreude und Lampenfieber gewichen. Eine Stimmung, mit der ich deutlich besser leben konnte. Dennoch war ich hellwach. Ich lag auf meinem Bett und starrte an die Decke. Ich fühlte mich alleine. Fast so wie damals, als ich zum ersten Mal nach Deutschland kam und als Au-pair-Mädchen anfing. Dabei war ich nun »zu Hause«. Mir wurde bewusst, wie sehr ich Polen verlassen hatte und in Deutschland angekommen war. Meine Heimat war heute woanders.
    Ein seltsames Gefühl in jener Nacht.
    Ich sehnte mich nach jemandem, der mir in diesen Stunden beistand. Mir aufmunternd auf die Schultern klopfte und ins Ohr flüsterte, dass ich das schon schaffen würde. Ich versuchte, meinen Mann zu erreichen, aber der hatte in dieser Nacht ja Spätdienst, daher konnte er nicht ans Telefon. Meine Schwester war sicherlich auch schon im Bett. Sie wollte ich nicht wecken. Also blieb nur der Blick an die Decke. Nach einer Weile fiel ich in einen unruhigen Schlaf.

Der Dritte Weltkrieg
    U nd nun, ein paar Stunden nachdem ich endlich eingeschlafen war, saß ich, verkleidet als alte Frau, um sechs Uhr dreißig auf einem Ledersofa inmitten von Scheinwerfern, unzähligen Kabeln und eingekesselt von drei Kameras. Man sagte mir, ich solle hier warten, die beiden Moderatoren würden in Kürze bei mir sein. Obwohl ich in einer der Werbepausen, die
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