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Niceville

Niceville

Titel: Niceville
Autoren: Carsten Stroud
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die Wagen, die Merles
schwarzem Magnum folgten. Der dunkelblaue Dodge Charger überholte und schob
sich näher an Merle heran, als die Straße bergauf in die Belfair-Hügel führte.
    Die Krähen verstummten, wie um besser lauschen zu können, und stoben
dann in einer wirbelnden schwarzen Wolke auf. Das bernsteinfarbene Licht der
Sonne schimmerte auf ihren Flügeln.
    Er hörte das Trommeln des tief fliegenden Hubschraubers, der noch
hinter den Baumwipfeln verborgen war, und dann, untermalt vom Sirenengewimmer,
das Quietschen der Reifen, als Merle den Magnum durch die fünfhundert Meter
entfernte scharfe Kurve jagte.
    Die Sirenen klangen jetzt schriller, wilde Echos hallten von den
Bergen wider und vermischten sich mit dem Jaulen der Motoren.
    Coker setzte die Ohrenschützer auf, hob das Gewehr, atmete langsam
aus und kniete sich hin. Er stellte das Zweibein des Gewehrs auf einen
Baumstumpf und richtete den Lauf aus, bis die Mündungsbremse auf die Baumwipfel
zeigte.
    Es war ein halbautomatisches Gewehr. Im Kastenmagazin steckten fünf
Patronen, drei weitere volle Magazine waren in dem Segeltuchbeutel, der neben
ihm auf dem Boden lag. Sollte er die brauchen, würde er bei Sonnenuntergang tot
sein.
    Erst als das leuchtend rote Ei des Hubschraubers über den Bäumen
auftauchte, beugte er sich vor und brachte das Gewehr in Anschlag. Er spähte
durch das Leupold-Zielfernrohr und presste den Schaft fest an die Schulter, um
den heftigen Rückstoß aufzufangen.
    Er legte den Finger an den geriffelten Abzug und bewegte ihn, bis er
einen leichten Widerstand spürte. Dann hielt er inne.
    Der Hubschrauber flog niedrig, knapp oberhalb der Wipfel. Er folgte
der Krümmung der Hügelflanke, ein eifriger Jäger, der flach dahinglitt, damit
die Reporterin schöne, ruckfreie Aufnahmen bekam. Coker konnte in der
verglasten Kanzel zwei blasse Gestalten erkennen. Die Reporterin saß vermutlich
links, auf dem Platz des Copiloten, hielt die Kamera und sagte ihren Text.
    Der Pilot saß rechts und bediente Lenkung und Pedale. Er
konzentrierte sich ganz auf die Situation und dachte an Stromleitungen,
Baumwipfel, selbstmörderische Gänse und den übrigen Luftverkehr, der in diesem
Gebiet unterwegs sein mochte.
    Hätte er in Cokers Richtung geblickt, dann hätte er bloß ein Stück
khakifarbenen Stoff auf einer verdorrten Wiese gesehen, vielleicht auch noch
das lange schwarze Rohr, das unter dem Stoff hervorsah.
    Coker nahm ihn ins Visier, atmete ein, atmete halb aus und hielt den
Atem an. Er war vollkommen reglos.
    Dann drückte er ab.
    Die Barrett bockte und schlug gegen seine rechte Schulter, die
Verbrennungsgase der Patronenladung schossen rechts und links aus der
Mündungsbremse. Das Bild des Hubschraubers im Visier verschwamm für einen
Augenblick in einem Hitzeflirren, doch Coker konnte erkennen, dass das
.50er-Projektil den Piloten mitten in die Brust getroffen hatte.
    Er explodierte förmlich. Die hydrostatische Schockwelle lief mit
Schallgeschwindigkeit durch seinen Körper – es war, als wäre ein Asteroid in
einen See eingeschlagen.
    Coker hatte solche Volltreffer oft gesehen. Wenn man dann vor dem
Fahrzeug stand, hing der Kopf des Fahrers nur noch an ein paar Sehnen, die
Augäpfel waren herausgesprengt worden, aus Mund und Ohren quoll dunkles Blut,
und vom Oberkörper war außer rosaroten Wirbeln und klaffenden Rippen nichts
mehr übrig.
    Es
geht doch nichts über Feuerkraft , dachte er.
    Da es jetzt keinen mehr gab, der die Blattstellung und den Heckrotor
steuerte, kam der Hubschrauber ins Straucheln, kippte und rollte unter wildem
Schütteln seitlich weg.
    Auf dem Bildschirm verfolgte Coker, wie Himmel und Erde die Plätze
tauschten. Das Bild verschwamm in einem Wirbeln, als die Bäume der Kamera
entgegensprangen.
    Durch die Ohrenschützer stark gedämpft hörte er den gellenden Schrei
blanken Entsetzens, dünn wie Silberdraht, der aus den Fernsehlautsprechern
drang. Die Reporterin fasste ihre letzte Superstory zusammen, einen
Augenzeugenbericht von einem tödlichen Hubschrauberabsturz.
    Live!
    Der Gedanke ließ ihn lächeln und brachte ein gelbliches Funkeln in
seine hellbraunen Augen. Sein harter Mund wurde noch härter.
    Coker spürte den Boden erbeben, als der Hubschrauber jenseits der
Bäume aufschlug. Aus dem rechten Augenwinkel sah er orangerote Flammen
auflodern, doch da hatte er seine Position bereits verändert und die
zweispurige Straße ins Visier genommen. Gerade bog Merles Magnum um die Kurve.
    Er hatte eine Stelle
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