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Nibelungenmord

Nibelungenmord

Titel: Nibelungenmord
Autoren: Judith Merchant
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wie eine Bitte, fast weinerlich. Sven hasste es, wenn sein Vater diese Stimme hatte. Deswegen hatte er auch nicht geantwortet, und sein Vater hatte natürlich wieder nicht nachgehakt, sondern stumpf vor sich hin auf den Boden geglotzt, wie er es immer tat.
    Eigentlich wäre es cool gewesen, wenn er ihm mal geantwortet hätte. Ja klar, Alter, hätte er sagen sollen. Ich freu mich zu Tode. Ich flipp gleich aus. Du kriegst gleich fünf Punkte mehr auf der Wer-ist-der-beste-Vater-Skala, das wolltest du doch. Also lach mal, Alter, und freu DU dich darüber, dass du mir ein neues Rad gekauft hast. Los, freu dich! Freu dich endlich mal! Sonst muss ich dir noch was Dope in den Kaffee tun, damit du mal besser draufkommst.
    Aber Sven wusste, er würde nie etwas sagen. Das war wie mit den Hunden. Seine Biolehrerin hatte das mal erzählt. Wenn Hunde echt fertig sind, dann legen sie sich auf den Boden und bieten dem Feind ihre Kehle dar. Das bedeutete dann, hey, guck mal, wie fertig ich bin, du kannst mich ruhig umbringen! Aber der Witz war eben, dass die anderen Hunde das dann nicht taten. Denn wer will schon jemanden umbringen, der nur darauf wartet? Und genau so war das mit seinem Vater. Ganz genau so.
    Ganz schön bescheuert von ihm, jetzt an seinen Vater zu denken, während er hier auf Lara wartete. Da es doch nichts Schöneres gab, als auf Lara zu warten. Das klang schon so geil: auf Lara warten. Sie verabredeten sich immer hier, denn Lara wohnte auf der anderen Rheinseite.
    Noch vor zwei Monaten hätte er nicht im Traum daran gedacht, dass er mal hier am Rhein sitzen und auf sie warten würde. Ausgerechnet er, der Freak mit den abgebissenen Fingernägeln, der letztes Jahr mit Karacho sitzengeblieben war und nur deswegen auf der Schule hatte bleiben können, weil irgendwelche Scheißlehrer auf der Konferenz einen von schwierigen Familienverhältnissen gefaselt hatten.
    Auf ihn war sie zugekommen. Sie hatte sich die blonden Haare aus dem Gesicht gepustet, so wie sie das immer machte, voll süß, und hatte gefragt, ob sie zusammen für Mathe lernen wollten. Einfach so.
    Er hatte garantiert einen total roten Kopf bekommen und blöde rumgestottert. Hätten die anderen ihn gesehen, wäre er wochenlang damit aufgezogen worden, aber Lara hatte ihn abgepasst, als er in der großen Pause mutterseelenallein in der Nische zwischen Fahrradständer und Sportplatz hockte. Das war nämlich echt ätzend, auf den Raucherschulhof durfte er nicht, weil er ja erst in der Mittelstufe war, und so musste er hierhin, wo man meist vor den Blicken der Pausenaufsicht sicher war. Manchmal waren auch andere hier, meist aber saß er allein da. Auch an dem Tag, als Lara kam. Er hatte dagesessen wie immer, geraucht und auf den Boden gespuckt. Richtige Rotzinseln hatte er um sich herum verteilt, die reinsten Tretminen, und eigentlich fand er das cool, doch als Lara dann plötzlich vor ihm stand, hatte er tierische Angst bekommen, dass sie das sehen und sich ekeln würde, so wie Mädchen eben alles eklig fanden. Aber sie hatte gar nicht auf den Boden geguckt. Die ganze Zeit hatte sie ihm direkt ins Gesicht gesehen mit diesen Wahnsinnsaugen, und dann hatte sie noch gesagt, »Okay, wir sehen uns also morgen«, und war gegangen, einfach so, und er hatte ihr wie ein Idiot hinterhergestarrt, wie sie wieder zu ihren Freundinnen ging. Ihre Haare hatten gewippt und dieser komische rosa Rucksack mit dem Frosch auch. Echt süß. Selbst den komischen Rucksack fand er süß.
    So war das gewesen, vor zwei Monaten. Und jetzt waren sie so was wie Freunde, und er wartete auf sie.
    Die Fähre legte an, aber sie war nicht unter den Passagieren. Komisch. Sonst war sie immer pünktlich.
    Sein Handy klingelte, doch die Nummer im Display war nicht Laras Nummer. Schon wieder sein Vater. Sven drückte den Anruf weg, wie er es mit allen Anrufen seines Vaters getan hatte. Sechs waren es gewesen seit heute Mittag.
    Soll er doch Angst haben, dachte er. Soll er sich selber fragen, was seine Frau macht. Und warum sein Sohn nicht mit ihm sprechen will, heute, wo sie das Haus voller Gäste haben, um wieder so einen scheißverlogenen Trubel zu veranstalten. Eine Geburtstagsfeier mit Kapelle und haufenweise Essen auf silbernen Platten.
    Es war besser, nicht an seine Eltern zu denken und daran, warum aus der Party heute wohl nichts werden würde. Er würde ab jetzt gar nicht mehr an seine Eltern denken. Nur noch an Lara.
    Sein Herz hüpfte, als er hinter sich eine Fahrradklingel hörte. Sie
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