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Nexus

Nexus

Titel: Nexus
Autoren: Henry Miller
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würde niemand, der seine fünf Sinne beisammen hat, genug Zeit finden, in die Tasche zu greifen und nach einem Geldstück zu suchen. An einem Morgen wie diesem, den ein wohlbestallter Bankier «klar und frisch» nennen würde, hat ein Bettler kein Recht, hungrig zu sein oder um ein Almosen zu bitten. Bettler gehören zu warmen, sonnigen Tagen, wenn selbst ein sadistisch veranlagter Spaziergänger stehenbleibt und den Vögeln Brotkrumen hinwirft.
    An einem solchen Tag suchte ich absichtlich einige Hefte mit Stoffmustern zusammen und begab mich zu den Kunden meines Vaters, obwohl ich im voraus wußte, daß ich keinen Auftrag bekommen würde. Ich wurde nur von einem verzehrenden Hunger nach Unterhaltung getrieben.
    Es war besonders ein Kunde, den ich immer bei solchen Gelegenheiten aufsuchte, weil bei ihm der Tag in höchst ungewöhnlicher Weise enden konnte und gewöhnlich auch endete. Ich sollte noch erwähnen, daß dieser Kunde nur selten einen Anzug bestellte und uns auf die Bezahlung der Rechnung jahrelang warten ließ. Er war aber schließlich doch ein Kunde. Meinem Alten machte ich vor, ich suchte John Stymer auf, um ihn zu veranlassen, den Gehrock zu kaufen, den er, wie wir annahmen, eines Tages benötigen würde. (Dieser Stymer prahlte immer damit, er würde eines Tages Richter werden.)
    Nie sagte ich dem Alten aber etwas von der Art der unschneiderlichen Unterhaltung, die ich gewöhnlich mit dem Mann führte.
    «Hallo! Aus welchem Grunde kommen Sie zu mir?»
    So begrüßte er mich gewöhnlich.
    «Sie müssen verrückt sein, wenn Sie glauben, ich brauchte noch mehr Anzüge. Ich habe nicht mal den letzten bezahlt, nicht wahr? Wann habe ich ihn bekommen — vor fünf Jahren?»
    Dabei hob er kaum den Kopf aus der Masse Papiere, in die er seine Nase vergraben hatte. Ein übler Geruch herrschte in dem Büro, denn er hatte die Gewohnheit - und sie war kaum mehr auszurotten —, dauernd zu furzen, selbst in Gegenwart seiner Schreibkraft. Er bohrte auch immer in der Nase. Sonst - äußerlich, meine ich - hätte er Herr Jedermann sein können. Ein Rechtsanwalt wie jeder andere.
    Den Kopf noch in einem Gewirr Aktenstücke verborgen zirpt er: «Was lesen Sie jetzt so?» Bevor ich antworten kann, setzt er hinzu: «Können Sie draußen ein paar Minuten warten? Ich stecke bis über den Kopf in Arbeit. Aber gehen Sie ja nicht fort - ich möchte gern mit Ihnen plaudern.» Mit diesen Worten greift er in die Tasche und zieht einen Dollarschein heraus. «Hier - trinken Sie einen Kaffee, damit Ihnen die Zeit nicht so lang wird. In einer Stunde kommen Sie zurück . . . wir werden dann zusammen essen.»
    Im Vorzimmer wartete ein halbes Dutzend Klienten, die ihn konsultieren wollten. Jeden bittet er, noch ein bißchen länger zu warten. Manchmal sitzen sie den ganzen Tag da.
    Auf dem Weg zum Cafe wechsle ich den Schein, um mir eine Zeitung zu kaufen. Wenn ich die Nachrichten überfliege, habe ich die ungewöhnliche Sinnesempfindung, auf einem anderen Planeten zu sein. Ich muß mich ja auch auf dem laufenden halten, um es mit John Stymer aufnehmen zu können.
    Beim Lesen der Zeitung fällt mir Stymers großes Problem ein. Masturbation . Seit Jahren versucht er nun schon, die lasterhafte Gewohnheit zu überwinden. Ich erinnere mich an Bruchstücke unserer letzten Unterhaltung. Ich weiß noch, daß ich ihm empfahl, ein gutes Hurenhaus zu versuchen. Was machte er da für ein verdrießliches Gesicht! «Was! Ich , ein verheirateter Mann, soll mich mit einer Schar schmutziger Huren einlassen?» Als Antwort fiel mir nur ein: «Sie sind nicht alle schmutzig.»
    Zu Herzen aber ging mir die ernste, flehende Art, mit der er mich beim Abschied bat, ihm ja Mitteilung zu machen, wenn mir etwas einfiele, was helfen könnte - was es auch sei . Ich hätte am liebsten gesagt: «Abschneiden!»
    Eine Stunde verging. Für ihn war eine Stunde wie fünf Minuten. Schließlich stand ich auf und verließ das Cafe. Es war so eisig draußen, daß ich mich gern in Galopp gesetzt hätte.
    Zu meiner Überraschung wartete er schon auf mich. Seine gefalteten Hände ruhten auf dem Schreibtisch, seine Augen waren auf einen Stecknadelknopf irgendwo in der Ewigkeit gerichtet. Das Päckchen Stoffmuster, das ich auf dem Schreibtisch hatte liegen lassen, war geöffnet. Er habe sich entschlossen, einen Anzug zu bestellen, so teilte er mir mit.
    «Aber es eilt nicht damit. Ich brauche keine neuen Anzüge.»
    «Dann bestellen Sie keinen. Sie wissen ja, ich bin nicht
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