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Nexus

Nexus

Titel: Nexus
Autoren: Henry Miller
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noch kaum begonnen», sagte er, «und ich bin bereits nahe an fünfzig. Man sollte hundertfünfzig oder zweihundert Jahre leben, dann könnte man etwas erreichen. Die wirklichen Probleme beginnen erst, wenn man mit dem Geschlechtlichen und allen materiellen Schwierigkeiten fertig ist. Mit fünfundzwanzig glaubte ich, ich wüßte alle Antworten. Jetzt habe ich das Gefühl, daß ich überhaupt nichts weiß. Da fahren wir nun zu einer jungen Nymphomanin. Was für einen Sinn hat das?» Er zündete eine Zigarette an, machte einige Züge und warf sie dann weg. Im nächsten Augenblick zog er eine dicke Zigarre aus seiner Brusttasche.
    «Sie möchten sicher etwas über sie hören. Nun, dann will ich Ihnen gleich dies sagen: wenn ich nur den nötigen Mut hätte, würde ich sie mir schnappen und mit ihr nach Mexiko fahren. Was ich dort tun soll, weiß ich zwar nicht. Ganz von vorn anfangen, nehme ich an. Aber da sitze ich auch schon in der Patsche — ich habe nicht den Mut dazu. Die Wahrheit ist, ich bin ein moralischer Feigling. Übrigens weiß ich, daß sie mich an der Nase herumführt. Jedesmal, wenn ich mich von ihr trenne, frage ich mich: mit wem wird sie ins Bett gehen, sobald ich außer Sicht bin? Nicht daß ich eifersüchtig bin — ich lasse mich nur nicht gern für dumm halten. Ja, ich bin ein Scheißkerl. Außer auf juristischem Gebiet bin ich ein vollendeter Narr.»
    In dieser Tonart ging es eine Zeitlang weiter. Es bereitete ihm sichtlich Behagen, sich herabzusetzen. Ich lehnte mich zurück und hörte mir mit ebenso großer Behaglichkeit alles an.
    Jetzt war er bei einem neuen Thema angelangt. «Wissen Sie, warum ich kein Schriftsteller geworden bin?»
    «Nein», sagte ich, erstaunt, daß er je einen solchen Gedanken gehabt hatte.
    «Weil ich fast sogleich herausfand, daß ich nichts zu sagen hatte. Ich habe nie gelebt - das ist der eigentliche Grund. Wer nichts aufs Spiel setzt, gewinnt nichts. Wie heißt doch das orientalische Sprichwort? ‹Furcht ist, wenn man wegen der Vögel nicht aussäet.› Diese verrückten Russen, die Sie mir zu lesen gaben, hatten alle Lebenserfahrung, selbst wenn sie sich von dem Fleck nicht wegrührten, an dem sie geboren wurden. Nur im richtigen Klima kann sich etwas ereignen. Und fehlt das Klima, so schafft man eines, wenn man Genie hat. Ich habe nie etwas geschaffen. Ich beteiligte mich an dem Spiel und spielte es nach den Regeln. Das ist so gut wie Totsein, falls Sie es noch nicht wissen sollten. Ja, ich bin so gut wie tot. Aber knacken Sie diese Nuß mal: wenn ich am totesten bin, ficke ich am besten. Malen Sie sich das aus, wenn Sie können! Nur um Ihnen ein Beispiel zu geben: als ich das letzte Mal bei ihr schlief, zog ich mich erst gar nicht aus. Ich kletterte voll angezogen ins Bett, nicht einmal die Schuhe legte ich ab. Bei dem Geisteszustand, in dem ich mich befand, erschien mir das vollkommen natürlich. Auch sie fand nichts dabei. Wie gesagt, ich stieg voll angezogen ins Bett und erklärte ihr: ‹Warum bleiben wir nicht so liegen und ficken uns zu Tode?› Ein sonderbarer Gedanke, was? Besonders wenn er von einem angesehenen Rechtsanwalt mit Familie und allem Drum und Dran kommt. Aber die Worte waren kaum dem Gehege meiner Zähne entflohen, als ich mir sagte: Du Dummkopf! Du bist ja bereits tot. Warum heuchelst du denn so? Na, was sagen Sie dazu? Damit überließ ich mich .. . der Fickerei natürlich.»
    Hier warf ich ihm einen Köder hin. Ob er sich jemals ausgedacht hätte, fragte ich, er besäße im Jenseits einen Schwengel und benützte ihn .
    «Und ob!» rief er. «Gerade diese Vorstellung verfolgt mich ja. Ein unsterbliches Leben mit einem Riesenschwengel, der mir aus dem Gehirn wächst, hat gar keine Reize für mich. Ich möchte zwar auch nicht das Leben eines Engels führen. Ich möchte ich selbst sein, John Stymer, mit all meinen verdammten Problemen. Ich brauche Zeit, um alles auszudenken ... tausend Jahre oder mehr. Klingt blöd, was? Aber so bin ich. Der Marquis de Sade hatte eine Menge Zeit für sich. Er hat sich allerlei ausgedacht, muß ich zugeben, aber mit seinen Schlußfolgerungen kann ich nicht übereinstimmen. Was ich sagen wollte, ist dies: sein Leben im Gefängnis zu verbringen, ist nicht so schrecklich ... wenn man einen aktiven Geist hat . Schrecklich ist, wenn man sich selbst zum Gefangenen macht. Und das sind die meisten von uns -Seifmade-Gefangene. In einer Generation gibt es kaum ein Dutzend Menschen, die ausbrechen. Wenn man das Leben mit
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