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Nexus

Nexus

Titel: Nexus
Autoren: Henry Miller
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anderer da ist. Das muß eine Folge der Wichserei sein. Verstehen Sie, was ich meine? Anstatt es mir selbst zu machen, macht es ein anderer für mich. Es ist besser, weil man noch weniger innerlich daran beteiligt ist. Das Mädchen hat natürlich großen Spaß daran. Sie kann alles mit mir machen, was sie will. Das ist es, was sie reizt, sie aufregt. Aber sie weiß nicht - sie würde wohl erschrecken, wenn ich ihr das sagte -, daß ich nicht da bin. Sie kennen den Ausdruck - ganz Ohr sein. Nun, ich bin ganz Geist. Ein Geist mit einem Schwengel - wenn man es so sagen kann. Irgend einmal möchte ich Sie übrigens fragen, wie das mit Ihnen ist. Was Sie für ein Gefühl haben, wenn Sie das tun . . . wie Sie darauf reagieren und all das. Mir würde das zwar nicht viel helfen. Ich bin nur neugierig.»
    Plötzlich sprang er auf ein anderes Thema über. Er wollte wissen, ob ich schon etwas geschrieben hätte. Als ich es verneinte, sagte er: «Sie sind ja jetzt am Schreiben, nur merken Sie es nicht. Sie schreiben die ganze Zeit, kommt Ihnen das nicht zum Bewußtsein?»
    Diese sonderbare Bemerkung setzte mich in Erstaunen, und ich fragte: «Meinen Sie mich - oder jedermann?»
    «Natürlich nicht jedermann, Sie, Sie meine ich.»
    Seine Stimme wurde schrill und nahm einen gereizten Ton an. «Sie haben mir einmal gesagt, Sie würden gern schreiben. Wann wollen Sie denn damit anfangen?» Er machte eine Pause, um eine gehäufte Gabel Essen in den Mund zu führen. Er schluckte noch, als er fortfuhr: «Warum spreche ich wohl so zu Ihnen? Etwa weil Sie gut zuhören können? Durchaus nicht. Ich kann Ihnen mein Herz ausschütten, weil ich weiß, daß Sie im tiefsten Grunde kein Interesse an mir haben. Nicht ich, John Stymer, interessiert Sie, sondern das, was ich Ihnen sage, oder wie ich es sage. Aber ich interessiere mich bestimmt für Sie . Das ist ein großer Unterschied.»
    Schweigend kaute er eine Weile. «Sie sind fast so kompliziert wie ich», fuhr er dann fort. «Das wissen Sie, nicht wahr? Ich erführe gern, was einen Menschen, besonders einen Typ wie Sie, vertrauenswürdig macht. Aber keine Angst, ich werde Ihnen nicht auf den Grund gehen, weil ich im voraus weiß, daß Sie mir nicht die richtigen Antworten geben. Sie können es mit mir nicht aufnehmen. Ich bin Rechtsanwalt. Es ist mein Beruf, Prozesse zu führen. Was Sie aber treiben, kann ich mir nicht vorstellen - außer, Sie tun gar nichts?»
    Hier schloß er sich wie eine Muschel und begnügte sich eine Weile mit Kauen und Schlucken. Dann sagte er: «Ich hätte gute Lust, Sie einzuladen, heute nachmittag zu mir zu kommen. Ich gehe nicht in mein Büro zurück. Ich will das Mädchen besuchen, von dem ich Ihnen erzählt habe. Warum sollten Sie nicht mitkommen? Sie ist nicht schüchtern, und man kann sich leicht mit ihr unterhalten. Ich möchte beobachten, wie sie auf Sie wirkt.» Er wartete einen Augenblick, um zu sehen, wie ich den Vorschlag aufnahm. Dann fuhr er fort: «Sie wohnt draußen auf Long Island. Es ist zwar eine ordentliche Strecke Fahrt, aber es lohnt sich vielleicht. Wir nehmen Wein und eine Flasche Strega mit. Sie trinkt gern Liköre. Was meinen Sie?»
    Ich stimmte zu. Wir gingen zur Garage, wo er seinen Wagen untergestellt hatte. Es dauerte eine Weile, bis wir ihn in Gang brachten, denn er war eingefroren. Kaum waren wir eine kurze Strecke gefahren, da funktionierte dies und das nicht. Mit dem Aufenthalt in Garagen und Reparaturwerkstätten muß es fast drei Stunden gedauert haben, bis wir über die Stadtgrenze hinaus waren. Mittlerweile waren wir vollständig durchgefroren. Wir mußten noch neunzig Kilometer fahren, und es war bereits stockdunkel.
    Sobald wir auf die Autostraße kamen, hielten wir noch mehrmals, um uns aufzuwärmen. Überall schien Herr Stymer bekannt zu sein und wurde immer mit Hochachtung behandelt. Wenn wir weiterfuhren, erklärte er mir, wie er diesen und jenen zum Freund gewonnen hatte. «Ich übernehme nie einen Fall», sagte er, «wenn ich nicht sicher bin, daß ich ihn gewinnen kann.»
    Ich versuchte, nähere Einzelheiten über das Mädchen zu erfahren, aber er war mit anderen Dingen beschäftigt. Merkwürdigerweise fesselte ihn jetzt vor allem die Frage der Unsterblichkeit. Was hatte ein Weiterleben für einen Sinn, so wollte er wissen, wenn man beim Tode seine Persönlichkeit verlor? Er war überzeugt, daß eine einzige Lebenszeit nicht hinreichte, um die Probleme, mit denen man sich herumschlug, zu lösen. «Ich habe mein Leben
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