New York - MERIAN Portraet

kein normaler Unfall sein konnte. Ich dachte, dass da vermutlich ein Verrückter wegen beruflicher Probleme oder seiner Freundin durchgedreht ist, solche Sachen passieren ja in New York« , erinnert er sich später. Als sein Auto eine Meile von dem brennenden Turm entfernt ist, hört er eine Explosion. Und er sieht, wie sich verzweifelte Menschen aus den brennenden oberen Stockwerken stürzen. Die Erde bebt, als der erste Turm einstürzt. Panik breitet sich aus. Niemand weiß, was noch passieren wird. Giuliani läßt Lower Manhattan evakuieren. »Das Wichtigste in einer solchen Situation ist, die Ruhe zu bewahren. Das habe ich von meinem Vater gelernt. Nur dann kann man Entscheidungen treffen« , rekapituliert er zehn Jahre später.
    Der Terroranschlag der al-Qaida fügt der Stadt die schwersten Wunden ihrer Geschichte zu. Etwa 2800 Menschen sterben, darunter viele Feuerwehrmänner. In den Tagen und Wochen danach profiliert sich der hemdsärmelige Hardliner als besonnener Krisenmanager. Der 107 . Bürgermeister bewährt sich so umsichtig, dass ihn das Magazin »Time« zum »Mann des Jahres« kürt.
Königin Elisabeth
schlägt ihn zum Ritter. Seine zweite Amtszeit endet wenige Wochen nach dem Anschlag am 31 . Dezember 2001 , eine Wiederwahl ist nicht möglich. Nach Anläufen, in die nationale Politik einzusteigen, gründet der Jurist eine Beratungsfirma, die Städten wie Mexiko-City helfen will, ihr Chaos zu bewältigen.
    DAS TRAUMA 9 / 11 UND DIE NORMALITÄT
    Die in Endlosschleifen wiederholten Fernsehbilder haben sich ins Gedächtnis der ganzen Welt gebrannt. Die New Yorker stehen unter Schock, viele glauben, es werde nie wieder so sein wie zuvor. Doch überraschend schnell kehrt in der Stadt wieder Normalität ein, vielleicht auch, um einem Trauma zu entrinnen, dem man eigentlich nicht entkommen kann. Am
Ground Zero
in
Lower Manhattan
, dort, wo die beiden WTC -Türme die wichtigste Handelsmetropole der Welt repräsentierten, gähnt ein riesiges Loch.
    Den Wettbewerb zur Neugestaltung gewinnt der New Yorker
Daniel Libeskind
. Der 1946 in Polen geborene Architekt, dessen jüdische Familie nur knapp dem Holocaust entkommen ist, hat 2001 das Jüdische Museum in Berlin entworfen. Sein Masterplan für
Ground Zero
sieht den Bau von fünf Hochhäusern um eine zentrale Gedenkstätte vor. Genau zehn Jahre nach dem Anschlag wird das
9 / 11 Memorial
1 ( ▶ B 4 ) eingeweiht: zwei Wasserbecken, in die die Namen der Toten eingraviert sind. Und das neue
One World Trade Center
, mit 541 Metern das höchste Gebäude der USA , wird 2013 eröffnet.
    Eine weitere Gedenkstätte 14 ( ▶ F 3 ) haben die New Yorker gleich in den ersten Tagen nach 9 / 11 am St. Vincent’s Hospital angelegt. In dem inzwischen geschlossenen Krankenhaus wurden damals die Verletzten versorgt. Hier versammelten sich die verzweifelten Angehörigen, um nach Vermissten zu suchen. An einem Zaun gegenüber hängen inzwischen Tausende von handbemalten Kacheln (Tiles for America), die in dieser so hektischen und angeblich rücksichtslosen Stadt eine anrührende Anteilnahme mit den Opfern ausdrücken.

PATTI SMITH
    geb. 1946
    ROBERT MAPPLETHORPE
    1946 – 1989
    »Es gab regenschwere Tage, an denen die Straßen von Brooklyn ein Foto wert waren und jedes Fenster das Objektiv einer Leica war«, schreibt die Sängerin über ihre New Yorker Jahre mit dem Fotografen.
    E s ist der Sommer, in dem der Jazz-Saxophonist John Coltrane stirbt und Jimi Hendrix in Monterey seine Gitarre in Brand steckt. Patti Smith ist 20 Jahre alt, als sie 1967 mit dem Bus aus
Camden, New Jersey
, in New York eintrifft. Schlaksig, schmalhüftig und hoch aufgeschossen wie ein Junge, verträumt, lesehungrig – und wild entschlossen, hier ein Leben als Künstlerin zu führen, einen Künstler zu lieben und mit ihm zusammen zu leben. Sie trägt Jeans, einen schwarzen Rollkragenpullover, einen Regenmantel und ein gelb-rot kariertes Köfferchen, das neben ein paar Kleidungsstücken und Familienfotos ein Notizbuch und
Arthur Rimbauds
Gedichtband »Illuminationen« enthält. Das Buch hat sie als Teenager an einem Bahnhofsständer geklaut und gierig verschlungen. Seither ist der französische Poet »ihr Erzengel«, ihre Inspiration zum Schreiben. Seine Gedichte haben sie getröstet, als sie drei Jahre später gleich beim ersten ernsthaften Herumfummeln schwanger wird, im Alleingang ihr Kind austrägt, zur Adaption freigibt und vom College fliegt.
    Gleich nach ihrer Ankunft stolpert Patti Smith