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Neville, Katherine - Der magische Zirkel

Titel: Neville, Katherine - Der magische Zirkel
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strömten, um das Äquinoktium zu feiern, ein Fest, auf dem die Juden wie gewöhnlich bestanden, weil sie es für gleichwertig hielten mit einem ihrer einzigartigen historischen Ereignisse – in diesem Fall das Vorübergehen eines Geistes an ihren Häusern in Ägypten vor mehr als eintausend Jahren.
    Pilatus hörte die Befehle des Ausbilders, der die neuen Soldaten antreten ließ, und das Tappen ihrer Ledersohlen auf den Marmorfliesen des tiefergelegenen Hofes. Schließlich wandte er sich um und blickte über die Terrassenmauer zu den Soldaten hinunter, die blinzelnd zu ihm aufschauten, direkt in die blendenden Strahlen der sinkenden Sonne, die ihn mit einer feurigen Aura umgaben, so daß sie kaum mehr als die Umrisse seiner Gestalt sehen konnten. Genau deshalb ließ er stets hier und um diese Tageszeit antreten.
    «Soldaten von Rom», sagte er, «ihr müßt gerüstet sein für die vor euch liegende Woche, für die Massen, die in die Stadt pilgern werden. Ihr müßt bereit sein, mit allem fertig zu werden, was das Reich ungebührlich belasten könnte. Es gibt Gerüchte, Demagogen beabsichtigten, aus dem Fest, das ein friedliches sein sollte, einen Aufstand zu machen, um Gesetz und Ordnung zu stürzen. Soldaten von Rom, die Woche, die vor euch liegt, ist vielleicht eine Zeit, in der die Tat jedes einzelnen von euch den Weg des Reichs, vielleicht sogar der Geschichte ändern wird. Laßt uns nicht vergessen, daß unsere erste Pflicht darin besteht, jede gegen den Staat oder den Status quo gerichtete Handlung zu verhindern, ob sie nun religiösen Gründen oder persönlicher Ruhmsucht entspringt, denn ihr Ziel und Zweck ist in jedem Fall, das Schicksal des Römischen Reiches – unser Schicksal – zu ändern.»
    Dienstag

    Es war noch dunkel, als Josef von Arimathäa müde und erschöpft von der Reise die Jerusalemer Außenbezirke erreichte. Er meinte, noch immer das Wasser gegen die Seiten der großen Schiffe schlagen zu hören, das Flüstern über dem nächtlichen Meer und das Geräusch des kleinen Ruderboots, das sich seiner Handelsflotte näherte, als er vor dem Hafen von Joppe lag, um bei Tagesanbruch in den Hafen einzulaufen.
    Schon bevor sich Nikodemus Bote zu erkennen gab und an Bord kam, ja noch bevor Josef die Nachricht gelesen hatte, die der Bote überbrachte, überkam ihn das Gefühl drohender Gefahr. Der rätselhafte Wortlaut überraschte ihn nicht – eine Vorsichtsmaßnahme, sollte die Nachricht in andere Hände fallen –, aber das, was sie nicht sagte, ließ Josef Schreckliches ahnen. Sogar jetzt sah er die Worte vor seinem inneren Auge:

    Beeile dich. Die Stunde ist gekommen. Nikodemus
    Die Stunde war gekommen – aber wie konnte das zugegangen sein? Es war doch noch nicht Zeit!
    Er warf alle Vorsicht über Bord, weckte seine Mannschaft und ließ sie das Flaggschiff von den anderen Schiffen losmachen, um es mitten in der Nacht in den Hafen von Joppe zu steuern.
    Seine Männer hatten heftig protestiert; zweifellos hielten sie ihn für verrückt, etwas so Gefährliches zu wagen. Und den Beweis für seine Verrücktheit lieferte er ihnen, als sie im Hafen angelegt hatten. Er überantwortete ihnen die kostbare Ladung – eine unerhörte Handlungsweise für den Eigner einer so großen Handelsflotte – und eilte trotz der von den Römern angeordneten Ausgangssperre in die Stadt, weckte seine Diener, ließ sie ein Pferd satteln und ritt allein in die Nacht hinaus. Denn bei Tagesanbruch würde der Hohe Rat in Jerusalem zusammentreten, und dann mußte er dort sein – was immer es kostete.
    Während er über die gefährlichen Straßen des Hinterlands ritt – in finsterster Nacht und in einer Stille, in der nur der Hufschlag und der Atem des schweißenden Pferdes zu hören waren und hin und wieder aus den fernen Hainen das Zirpen der Zikaden –, ging Josef ständig die Frage durch den Kopf:
    Was hatte der Meister getan?
    Als Josef von Arimathäa die Stadt betrat, erschien über dem Ölberg der erste Schein des Morgenrots am Himmel. Die alten knorrigen Ölbäume standen wie Silhouetten vor dem heller werdenden Hintergrund. Er hämmerte mit den Fäusten gegen die Stalltür, um seinen Knecht aus dem Bett zu holen, damit er das Pferd tränkte und trockenrieb, und dann lief er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die steinernen Treppen in die obere Stadt hinauf.
    Trotz seiner Hast bemerkte er, daß sich die Akazien in der frühmorgendlichen Brise zu regen begannen. Diese Bäume mit ihren zarten,
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