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Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte

Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte

Titel: Never forget - das Mädchen, das sich nicht erinnern durfte
Autoren: Arena
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überdenken. Was sollte ich denen am Telefon erzählen? Alles, was ich weiß, ist, dass ich auf einer Straße oben in den Bergen bin. Punkt. Das reicht nicht, um mich zu finden. Mobilfunkmasten sind hier draußen wahrscheinlich eher spärlich gesät. Und ich will nicht dasitzen und abwarten, bis sie herausgefunden haben, wo ich bin.
    Denn was ist, wenn mich vorher jemand anderes findet?
    Nein. Ich fahre einfach weiter. Ich werde niemanden anhalten und um Hilfe bitten und ich werde auch nicht versuchen, jemanden anzurufen.
    Doch dieser Entschluss hindert jemanden nicht daran, mich anzurufen. Oder eher den Kerl, den ich – gefesselt und nur noch schwach atmend – im Wald zurückgelassen habe. Denn an meiner linken Hüfte summt es.
    Was wird die Person, die anruft, tun, wenn der Typ nicht an sein Handy geht? Wird sie wissen, dass etwas nicht stimmt? Wird sie ihn finden – und sich dann auf die Suche nach mir machen?
    Ich drücke das Gaspedal durch.

6
TAG 1, 17:34 UHR
    E ndlich hört das Handy auf zu vibrieren. Meine Hände tun weh, weil ich so fest das Lenkrad umklammere. Mir klappern die Zähne, obwohl ich inzwischen herausgefunden habe, wie man die Heizung anstellt. Wellenartige Schauer durchlaufen meinen Körper.
    Ich bin in einem Albtraum gefangen, doch ich brauche mich nicht zu kneifen, um zu wissen, dass alles real ist. Meine Finger tun zu sehr weh, als dass es nur ein Traum sein könnte. Wer bin ich? Wer sind diese Menschen auf dem Foto? Sie sahen wie eine Familie aus. Wie eine Mutter und ein Vater, eine Tochter und ein Sohn. Und diese Tochter war ich. Bin ich. Wenn ich sie finde, können sie mir sagen, wer ich bin. Vielleicht helfen sie mir dabei, meine Erinnerungen wieder abzuspielen, wie ein DVD-Player eine DVD.
    Die Straße, auf der ich fahre, mündet in eine andere. Da die andere größer aussieht, biege ich auf sie ab. Ich entscheide mich für links und hoffe, dass das richtig ist.
    Mich beschäftigt etwas anderes. Wer würde ein Foto wie das in meiner Tasche einrahmen und sich auf den Kaminsims stellen? Es ist ja kein Kunstwerk, sondern nur ein schräger Schnappschuss. Die einzigen Menschen, die sich so was aufstellen würden, sind die Leute auf dem Bild oder jemand, der mit ihnen verwandt ist. War das also die Hütte meiner Familie? Meiner Großeltern? Wahrscheinlich.
    Aber hätte ich sie dann nicht erkennen sollen? Nichts an der Hütte war mir vertraut vorgekommen.
    Da ist noch etwas. Wenn das Mädchen auf dem Foto ich bin, wo ist dann meine Familie? Stecken sie auch in Schwierigkeiten?
    Sind sie vielleicht sogar tot?
    Während ich nachdenke, fahre ich immer weiter. Zweimal muss ich mich entscheiden, welche Straße ich nehmen soll. Beide Male entscheide ich mich für die breitere oder für die, auf der mehr Autos unterwegs sind. Und jedes Mal schaue ich in den Rückspiegel, ob hinter mir jemand dieselben Entscheidungen trifft. Doch beide Male ist die Straße frei. Immer wenn ein Auto auf mich zukommt, hüpft etwas in meiner Brust. Angst und Sehnsucht. Ich möchte gerettet werden, aber ich habe auch eine Riesenangst. Die falsche Entscheidung könnte mich umbringen.
    Nachdem ich etwa eine halbe Stunde gefahren bin, wird die Straße zu einer Art Highway. Alle zwei oder drei Minuten kommt ein Auto vorbei. Offensichtlich habe ich bisher die richtigen Entscheidungen getroffen.
    Doch die vielen Autos machen mich nur noch nervöser. Ständig schaue ich in den Rückspiegel, weil ich denke, dass mir jemand folgt, wodurch ich fast einen Unfall baue. Als ein Auto vor mir links abbiegt, sehe ich sein gelbes Blinklicht und das rote Aufleuchten der Bremslichter nicht mehr rechtzeitig und dann ist es fast zu spät. Ich steige auf die Bremse, aber ich merke, dass das nicht ausreichen wird.
    Deshalb reiße ich das Lenkrad nach rechts. Hinter mir brüllt eine Hupe auf und ich schaffe es gerade noch, mich vorbeizudrängen.
    Vor mir liegt ein kleiner Lebensmittelladen, aber er ist dunkel und bereits geschlossen. Trotzdem fahre ich auf den Parkplatz. Ich zittere so heftig, dass ich kaum den Zündschlüssel drehen kann.
    Das Geräusch meiner abgehackten Atemzüge erfüllt die Stille. »Beruhige dich«, sage ich laut zu mir selbst. »Du bist in Sicherheit.« Aber so fühlt es sich nicht an. An wen soll ich mich wenden? Wem kann ich trauen? Alle paar Sekunden fährt ein Auto vorbei, aber darin sitzen Fremde, die auch nicht besser als ich wüssten, wie man mir helfen könnte.
    Dann fällt mir das Handy des Typen wieder ein.
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