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Nevare 01 - Die Schamanenbrücke

Titel: Nevare 01 - Die Schamanenbrücke
Autoren: Robin Hobb
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Einmündung der Gasse sehr nahe; nur ein paar Schritte noch, und wir würden aus dem Blickfeld der Soldaten verschwunden sein. Ich raffte den Rest meiner schwindenden Autorität zusammen. »Mein Vater wird sehr wütend sein, wenn ihr uns nicht vorbei lasst.«
    Carky bleckte die Zähne. »Dein Vater wird nicht mal deine Leiche finden, Offiziersbalg!«
    So hatte mich noch nie jemand genannt, von der Dr o hung ganz zu schweigen. Mein Vater hatte mir immer versichert, ein guter Offizier könne auf die Loyalität und die Zuneigung seiner Männer bauen. Irgendwie hatte ich das so verstanden, dass alle Soldaten ihre Offiziere lie b ten. Angesichts der unverhohlenen Feindseligkeit, die mir seitens dieser Jungen entgegenschlug, war ich sprachlos.
    Was man von dem Mädchen nicht sagen konnte. »Ich möchte niemandem wehtun«, sagte es leise. Es war um einen ruhigen, gelassenen Ton bemüht, aber ich hörte ein leises Zittern in seiner Stimme.
    Raven lachte. »Meinst du, wir wussten nicht Bescheid, Maulesel? Du trägst ein Halsband. Du bist gezähmt. Du kannst uns genauso wenig anhaben wie jede andere Frau. Und ein bisschen Strampeln und Schreien beeindruckt keinen von uns.«
    Das musste so etwas wie ein verstecktes Signal gew e sen sein. Vielleicht handelten die Jungen aber auch i n stinktiv, wie ein Vogelschwarm oder ein Rudel wilder Hunde. Zwei der jüngeren Burschen, beide größer als ich, packten mich und schleppten mich, so sehr ich auch zappelte und schrie, zur Einmündung der Gasse. Raven und Carky ergriffen das Mädchen, einer links, der andere rechts. Für einen kurzen, abscheulichen Moment sah ich, wie ihre dreckigen Finger sich in ihre weichen weißen Ärmel krallten. Sie packten sie bei den Oberarmen und rissen sie fast vom Boden hoch, während sie sie zu der Gasse zerrten, gefolgt von der lachenden Meute der a n deren Jungen. Für einen Augenblick wirkte sie zart und verletzlich im rohen Griff der Rabauken, wie ein e r schrockenes Vögelchen. Doch dann schlug ihr G e sichtsausdruck jäh in den von Wut um. Mit einer heft i gen, ruckartigen Bewegung entwand sie den rechten Arm dem Griff des Jungen zu ihrer Rechten. Ich sah, wie ihre schlanken Finger ein Zeichen in die Luft malten. Es eri n nerte mich an die kleine Zauberformel, die mein Vater immer über der Schnalle seines Sattelgurtes beschrieb, wenn er ein Pferd sattelte. Aber dies war nicht der ve r traute »Bleib fest«-Zauber. Es war etwas, das älter war und ungleich stärker.
    Die Magie, die von ihr ausging, ist schwer in Worte zu fassen. Es gab weder einen Blitz noch einen Donne r schlag, es gab keine grünen Funken, es gab nichts von dem, was man aus den alten varnischen Zaubergeschic h ten kannte. Sie tat nichts weiter, als ihre Hand auf eine bestimmte Art zu bewegen. Ich kann es nicht beschre i ben, geschweige denn nachahmen, aber dennoch kannte und erkannte irgendein alter Teil meiner Seele dieses Zeichen wieder. Obwohl sie ihren Zauber nicht gegen mich gerichtet hatte, sah ich das Zeichen und musste da r auf reagieren. Jeder Muskel in meinem Körper zuckte unwillkürlich, und für einen kurzen, schrecklichen M o ment hatte ich das Gefühl, die Kontrolle über meine G e därme verloren zu haben. Ich zuckte im Griff der Jungen, die mich festhielten, und wenn ich geistesgegenwärtig genug gewesen wäre, hätte ich mich wahrscheinlich lo s reißen können, denn auch sie zuckten, als würden sie von tausend Nadeln gestochen.
    Die beiden Jungen, die das Mädchen festhielten, re a gierten weit stärker. Damals hatte ich noch nie einen Menschen von einem epileptischen Anfall geschüttelt zu Boden stürzen sehen, so dass ich erst viel später begriff, was ich da sah. Ihre Körper und ihre Gliedmaßen zuckten wild und unkontrolliert, Raven und Carky wurden buc h stäblich von ihr weggeschleudert, mit solcher Kraft, dass sie mehrere Fuß von ihr entfernt hart auf den Boden schlugen. Einer der jüngeren Burschen, dem Aussehen nach Ravens Bruder Darda, heulte vor Schreck laut auf und rannte davon, in Richtung Kantine. Als die Jungen sie losließen, verlor sie das Gleichgewicht und fiel fast auf die Knie, aber sie fing sich sofort wieder. Sie zupfte an ihrer Bluse, denn die Jungen hatten ihre Ärmel heru n tergezerrt, so dass ihre Schultern und ein Stück von i h rem Busen entblößt waren. Nachdem sie ihre Bluse wi e der gerichtet hatte, machte sie zwei schnelle Schritte auf die beiden Grobiane zu, die mich festhielten. »Lasst ihn los!«, befahl sie den beiden,
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