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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie
Autoren: W Gibson
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aussah, als ob es auf einen OP-Tisch gehörte.
    »Also, eins sag ich dir, der Mann hat echt was aufgetan. Hat neuerdings massenhaft Knete, was er sonst nie hatte, und kriegt ständig mehr.« Case bemerkte eine gewisse Verkrampfung um ihren Mund. »Oder vielleicht hat ihn was aufgetan …« Sie zuckte mit den Achseln.
    »Soll’n das heißen?«
    »Weiß nicht genau. Weiß nur, dass ich keine Ahnung hab, für wen oder was wir eigentlich arbeiten.«
     
    Er blickte in die Doppelspiegel. Nachdem er am Samstagmorgen das Hilton verlassen hatte, war er ins Cheap Hotel zurückgekehrt
und hatte zehn Stunden geschlafen. Anschließend hatte er einen langen, ziellosen Spaziergang entlang der Sicherheitsabsperrung des Hafens gemacht und die Möwen beobachtet, die hinter dem Maschendrahtzaun ihre Kreise zogen. Wenn sie ihm gefolgt war, dann hatte sie gute Arbeit geleistet. Er hatte Night City gemieden. Er hatte im Sarg den Anruf von Armitage abgewartet. Nun dieser stille Hof, Sonntagnachmittag, das Mädchen mit dem Körper einer Sportlerin und den Händen einer Zauberin.
    »Wenn Sie jetzt hereinkommen möchten, Sir, der Anästhesist erwartet Sie.« Die Technikerin verneigte sich, machte kehrt und ging in die Klinik zurück, ohne abzuwarten, ob Case ihr folgte.
     
    Kalter Stahlgeruch. Eis umschmiegte seine Wirbelsäule.
    Verloren, so winzig inmitten der Dunkelheit, erkaltete Hände, Körpergefühl, das in Fernsehhimmelkorridoren verflog.
    Stimmen.
    Dann erreichte schwarzes Feuer die Nebenstränge der Nerven; Schmerz, der alles übertraf, was den Namen Schmerz trug …
     
    Stillhalten. Nicht bewegen.
    Und Ratz war da und Linda Lee, Wage und Lonny Zone, hundert Gesichter aus dem Neonwald, Matrosen und Gauner und Huren; da, wo der Himmel über dem Maschendrahtzaun und dem Kerker des Schädels eine giftige Silberfärbung hatte.
    Verdammt, du sollst dich nicht bewegen.
    Wo der Himmel von atmosphärischem Sirren zur Nichtfarbe der Matrix überblendete und er die Shuriken sah, seine Sterne.
    »Halt still, Case, ich muss deine Vene finden!«

    Sie hockte rittlings auf seiner Brust, eine blaue Plastikkanüle in der Hand.
    »Wenn du nicht stillhältst, schlitz ich dir den verdammten Hals auf. Du bist noch mit Endorphinhemmern vollgepumpt.«
     
    Er erwachte und stellte fest, dass sie im Dunkeln neben ihm lag.
    Sein Hals war spröde wie Reisig. Durch seine Wirbelsäule pulsierte von der Mitte abwärts anhaltender Schmerz. Bilder tauchten auf, änderten sich: eine flimmernde Montage der Türme und zerklüfteten Fullerkuppeln des Sprawl, verschwommene Gestalten, die unter einer düsteren Brücke oder Überführung auf ihn zugingen …
    »Case? Es ist Mittwoch, Case.« Sie bewegte sich, rollte sich zur Seite, griff über ihn hinweg. Eine ihrer Brüste streifte seinen Oberarm. Er hörte, wie sie den Folienverschluss einer Mineralwasserflasche aufriss und trank. »Da.« Sie drückte ihm die Flasche in die Hand. »Ich kann im Dunkeln sehn, Case. Integrierte Bildverstärker in den Linsen.«
    »Mein Rücken tut weh.«
    »Da haben sie deinen Liquor ausgetauscht. Auch dein Blut haben sie gewechselt. Das Blut, weil du noch eine neue Bauchspeicheldrüse dazugekriegt hast. Und die Leber haben sie mit frischem Gewebe geflickt. Mit dem Nervenkram kenn ich mich nicht aus. Massenhaft Injektionen. Haben dafür nichts aufschneiden müssen.« Sie legte sich wieder neben ihn. »Es ist zwei Uhr dreiundvierzig und zwölf Sekunden, Case. Hab’ne Anzeige im Sehnerv.«
    Er setzte sich auf und versuchte, aus der Flasche zu trinken. Würgte, hustete. Lauwarmes Wasser sprühte über Brust und Oberschenkel.
    »Ich brauch’ne Tastatur unter den Fingern«, hörte er sich sagen. Er tastete nach seinen Kleidern. »Muss wissen …«

    Sie lachte. Kleine, kräftige Hände packten ihn an den Oberarmen. »Sorry, du Supermann. Musst acht Tage warten. Dein Nervensystem würde aus allen Wolken fallen, wenn du jetzt einsteckst. Ärztliche Anordnung. Übrigens meinen sie, dass es geklappt hat. Checken dich morgen oder so.«
    Er legte sich wieder hin. »Wo sind wir?«
    »Daheim. Im Cheap Hotel.«
    »Wo ist Armitage?«
    »Im Hilton, verkauft den Eingeborenen Perlen oder so. Wir sind bald von hier weg. Amsterdam, Paris, dann ab ins Sprawl.« Sie tippte ihm auf die Schulter. »Dreh dich um. Ich geb dir’ne schöne Massage.«
    Er rollte sich auf den Bauch und streckte die Arme aus, so dass die Fingerspitzen die Sargwand berührten. Sie kniete sich auf den Temperschaum und ließ sich
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