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Neuromancer-Trilogie

Titel: Neuromancer-Trilogie
Autoren: W Gibson
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dem Tresen saß und sich eine Zigarette anzündete.
    Case spürte das drückende Gewicht der Nacht wie einen nassen Sandsack hinter den Augen. Er zog die Flasche aus der Tasche und gab sie Wage. »Mehr hab ich nicht. Ist’n Hypophysenpräparat. Bringt dir fünfhundert, wenn du’s schnell absetzt. Mein restliches Kapital steckt in’nem RAM, aber das kann ich jetzt abschreiben.«
    »Alles klar mit dir, Case?« Die Flasche war bereits hinter dem dunkelgrauen Revers verschwunden. »Na gut, okay, damit sind wir quitt, aber du siehst schlecht aus. Wie plattgewalzte Scheiße. Solltest dich irgendwo aufs Ohr legen.«
    »Tja.« Als Case aufstand, schwankte das Chat. »Ich hatte noch’nen Fuffie, aber den hab ich schon jemand anderm gegeben.« Er kicherte, las das Magazin der.22er und die herausgenommene Patrone auf und steckte sie ein. Die Pistole stopfte er in die andere Tasche. »Muss zu Shin, meine Kaution zurückholen.«
    »Geh nach Hause«, sagte Ratz, der irgendwie verlegen auf dem knarrenden Stuhl herumrutschte. »Geh nach Hause, du Superkünstler.«
    Case spürte, dass sie ihm nachschauten, als er die Bar durchquerte und sich durch die Plastiktür schob.

    »Luder«, sagte er zum rosigen Schimmer über der Shiga. Auf der Ninsei verschwanden die Hologramme wie Gespenster, und die meisten Neonlichter waren schon kalt und tot. Er trank dicken, schwarzen Kaffee aus dem winzigen Styroporbecher eines Straßenhändlers und sah zu, wie die Sonne aufging. »Flieg heim, Süße! Städte wie die hier sind was für Leute, die auf Abstieg stehen.« Aber das war’s eigentlich nicht. Es fiel ihm zunehmend schwerer, an dem Gefühl festzuhalten, hintergangen worden zu sein. Sie wollte nur das Ticket für den Heimflug, das sie sich mit dem RAM in seinem Hitachi kaufen konnte, falls sie den richtigen Hehler dafür fand. Und die Sache mit dem Fünfziger – sie hatte beinahe abgelehnt, weil sie wusste, dass sie ihm damit das Letzte nahm, was er noch besaß.
    Als er aus dem Aufzug stieg, saß der gleiche Teenager am Empfang. Mit einem anderen Lehrbuch. »He Kumpel«, rief Case ihm über den Plastikrasen zu, »brauchst mir nix zu sagen. Ich weiß schon Bescheid.’ne hübsche Lady war da, um mich zu besuchen, und hat gesagt, sie hätte meinen Schlüssel. Hübsches kleines Trinkgeld für dich, sagen wir, fünfzig Neue?« Der Junge legte das Buch weg. »Frau«, sagte Case und zog mit dem Daumen einen Strich über die Stirn. »Seide.« Er lächelte breit. Der Junge lächelte zurück und nickte. »Danke, du Arsch«, sagte Case.
    Auf dem Laufrost hatte er Probleme mit dem Schloss. Sie hat’s irgendwie beschädigt, als sie dran rumgebastelt hat, dachte er. Anfängerin. Er wusste, wo es eine Blackbox zu mieten gab, mit der man alles im Cheap Hotel aufbekam. Leuchtstoffröhren flackerten auf, als er hineinkroch.
    »Mach den Deckel ganz langsam zu, mein Freund. Hast du noch die billige Knarre, die du an der Sushibude gemietet hast?«
    Sie saß am hinteren Ende des Sarges, mit dem Rücken an der Wand. Sie hatte die Knie angezogen und die Handgelenke
daraufgestützt. Die Pfefferstreuermündung einer Flechette-Pistole ragte zwischen ihren Händen hervor.
    Er zog den Deckel zu. »Warst du das in der Spielhalle? Wo ist Linda?«
    »Drück die Taste für den Deckel.«
    Er tat es.
    »Dein Mädchen? Linda?«
    Er nickte.
    »Sie ist weg. Mit deinem Hitachi. Total nervöses Ding. Was ist mit der Knarre?« Sie trug eine verspiegelte Brille und schwarze Kleidung. Die Absätze ihrer schwarzen Stiefel bohrten sich in den Temperschaum.
    »Hab ich Shin zurückgebracht und meine Kaution abgeholt. Musste ihm die Kugeln zum halben Preis überlassen. Willst du das Geld?«
    »Nein.«
    »Dann vielleicht Trockeneis? Mehr hab ich momentan nicht.«
    »Was ist gestern Abend in dich gefahrn? Warum haste diese Show in der Spielhalle abgezogen? Ich musste’nen Wachmann erledigen, der mit’nem Nunchaku auf mich losging.«
    »Linda hat gesagt, du willst mich kaltmachen.«
    »Linda? Die hab ich vorhin zum ersten Mal gesehn.«
    »Du gehörst nicht zu Wage?«
    Sie schüttelte den Kopf. Ihm fiel auf, dass die Brillengläser chirurgisch eingesetzt waren, um die Augenhöhlen zu versiegeln. Die silbernen Linsen schienen aus der glatten, hellen Haut über den Wangen zu wachsen und waren von dunklem, fransig geschnittenem Haar umrahmt. Die Finger, die sich um die Flechette krümmten, waren schmal und weiß und hatten burgunderrot lackierte Nägel, die unecht wirkten. »Da hast du
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