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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
Autoren: Meira Pentermann
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„Leonard, bitte. Bitte versuch leise zu bleiben.“
    „Ich wünschte, ich könnte dir die Zeitmaschine zeigen. Das tu ich wirklich. Als ich aus dem Wandschrank kam, war ich plötzlich hier in dieser Realität und die Zeitmaschine war verschwunden.“
    „Die Zeitmaschine war in unserem Wandschrank? Ich glaube, das hätte ich bemerkt.“
    „Das ist es ja. Ich habe sie nie gebaut. Ich habe dich geheiratet und hatte eine Familie und ein…“ Er hielt kurz inne, um sich zu fangen. „…Leben“, flüsterte er schwermütig. „Ein Leben, an das ich mich nicht erinnere.“
    „Ich werde dir dabei helfen, dich wieder zu erinnern, Schatz. Wir kriegen das hin.“
    Er neigte den Kopf zur Seite. „Warum leben wir im Haus meiner Eltern? Wenn ich dich geheiratet habe und wir zusammen ein Leben aufgebaut haben, warum haben wir uns dann nicht ein eigenes Haus gekauft?“
    Alina biss sich auf die Lippen. „Du machst mir Angst.“ Sie schüttelte immer wieder den Kopf.
    Leonard berührte sie zärtlich und versuchte, ihr die Angst zu nehmen. „Tu einfach so, als wäre ich ein Fremder und erklär es mir.“
    Alina nickte. „Okay. Du hast das Haus deiner Eltern geliebt. Sie sind nach Florida gegangen und es war für uns das perfekte erste Haus. Ich bin nicht gerade stolz darauf, kein größeres Schlafzimmer zu haben und anderthalb Badezimmer mit zwei Teenagern teilen zu müssen, aber wir können uns noch glücklich schätzen.“
    „Das perfekte erste Haus. Das kann ich noch verstehen. Aber als es zu klein für uns wurde, warum sind wir nicht einfach umgezogen?“
    Alina sah ihn angestrengt an. Nach einer Weile sagte sie: „Komm mit.“ Sie stand auf und hielt ihm die Hand hin. Nachdem sie die Umgebung des Platzes erneut misstrauisch mit den Augen abgesucht hatte, führte sie Leonard durch den Grüngürtel hindurch und zur trostlosen, grauen Wohnsiedlung.
    Leonard bekam ein mulmiges Gefühl, als er sich in der Gegend umsah. Farblose und schlecht gebaute sechsstöckige Gebäude ragten über ihre Köpfe. Verrostete Geländer, welche in rissigen Betontreppen verankert waren, führten zu Türen, die alle mit einer fünfstelligen Adresse und zwölf Apartmentnummern versehen waren. Jede Treppe war mit Büschen umsäumt, Bäume gab es auf dem Grundstück jedoch keine. Der Klang von Gelächter und Streitereien hallte durch die Straße – eine Straße, auf der in jede Richtung offenbar nur ein Auto fuhr. Flackernde Laternen hämmerten auf Leonards Kopf ein, sodass er sich energisch die Stirn reiben musste. Alina führte ihn aus dem Licht der Laternen in den Schatten, ihr schneller Schritt schien dabei jedoch nicht von Leonards plötzlich auftauchenden Kopfschmerzen ausgelöst worden zu sein. Sie liefen scheinbar ziellos umher, aber bald erkannte Leonard, dass Alina genau wusste, wo sie hin wollte. Die Frau war sehr achtsam und betrachtete jede Adresse genau, bevor sie sich für eine Treppe entschied. Sie drehte sich um, lehnte sich mit dem Körper gegen die Büsche und zog Leonard an sich.
    „Tu so, als wären wir ein Liebespaar, das versucht, nicht erwischt zu werden.“
    „Das dürfte ich hinkriegen.“ Er grinste und berührte liebevoll ihr Haar.
    „Erinnerst du dich noch daran, was hier mal war, bevor sie diese Monstrosität gebaut haben?“ Sie legte ihren Kopf auf seine Schulter und streichelte über seinen Nacken.
    Leonard zögerte. Diese Rattenfalle konnte doch nicht ernsthaft die beeindruckenden Wohnhäuser aus seiner Realität ersetzt haben.
    Alina trat einen Schritt zurück und sah ihn stirnrunzelnd an. „Ist das dein Ernst, Leonard? In deinem anderen Zeitstrahl ist das nicht passiert?“ Ihr Gesichtsausdruck war von Zweifeln geprägt. „Das hier war mal die Hill–Creek–Siedlung.“
    „Mehrere Tausend Quadratmeter große, individuell gefertigte Häuser mit wunderschönen Gärten.“
    „Dankeschön.“ Sie tippte ihm an den Kopf. „Dann weißt du ja doch noch ein paar Sachen. Das lässt mich hoffen, dass wir deine Erinnerung vielleicht sogar wieder zurückbekommen können.“ Ihre Stimme wurde nun leiser. „Dein Hirn hat uns vor all dem da bewahrt.“ Sie gestikulierte mit der Hand in die Ferne, Richtung Straße. Leonard versuchte das Ausmaß dieses Bauprojektes zu erfassen – es bestand aus über einhundert Gebäuden mit bestimmt um die tausend kleinen Apartments.
    Er sah sie an. „Wo sind die Häuser hin?“
    „Was denkst du denn, wo sie hin sind?“
    Leonard wusste nicht, was er sagen sollte. Sein Kopf
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