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Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Neumond: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Neumond: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Daniela Larcher
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langsam den Flur entlang. Dieser Morell war ihr also tatsächlich auf die Schliche gekommen. Sie hatte es ernst gemeint, als sie seinen bevorstehenden Tod bedauert hatte. Er war ein höflicher, gesitteter und äußerst kluger Mann gewesen. Solche gab es leider nicht mehr oft in der heutigen Zeit. Aber was hätte sie machen sollen? Es hatte keinen anderen Ausweg gegeben. So war das nun einmal. Schon der gute alte Darwin hatte gewusst, dass nur die Besten überlebten. Survival of the fittest. Und obwohl man es ihr in ihrem gebrechlichen, alten Körper vielleicht nicht zutraute – sie stand immer noch ganz oben in der Nahrungskette. Niemand durfte es wagen, sich mit ihr, Adelheid Viktoria Hanauer, anzulegen. Denjenigen, die es bisher gewagt hatten, war es jedenfalls nicht gut bekommen. Zöbich hatte bezahlt und Weigl auch.
    Ein Gefühl des Triumphs durchflutete sie. Es stimmte, was sie Morell erzählt hatte: Sie hatte gewollt, dass Schwester Sabine gefeuert wurde. Allein deren Anblick war für sie ein Affront gewesen, der von Tag zu Tag schlimmer geworden war. Zum Glück hatte sie Bertoni gleich durchschaut gehabt. Er war wirklich wie ihr Manfred – Gott hab ihn selig. Deshalb hatte sie ganz genau gewusst, wo seine Schwächen waren und welche Knöpfe sie bei ihm drücken musste. Ach, Menschen. So naiv und durchschaubar. Zumindest für sie. Also hatte sie begonnen, ihn zu manipulieren. Hatte ihm eingeredet, dass das Personal sich hinter seinem Rücken über ihn das Maul zerriss. Dass er bemitleidet und ausgelacht wurde. Dass Schwester Sabine ihn zur Witzfigur degradiert hatte.
    Jeden Tag hatte sie mehr Öl ins Feuer gegossen, bis sein Zorn lichterloh gebrannt und sich in ihm ein dunkler Abgrund aufgetan hatte. Es war gewesen, als hätte sie eine Tür geöffnet, hinter der ungeahnte Kräfte steckten. Sie schauderte vor Wonne bei der Erinnerung. Seit jenem Moment hatte sie sich wie eine Forscherin gefühlt, die in Bertoni ihre persönliche Laborratte gefunden hatte. Sie hatte die Tür nicht wieder verschlossen, sondern sie weit aufgerissen, damit sich die dahinterliegenden menschlichen Untiefen weiter entfalten konnten. Sein Zorn auf Schwester Sabine war ein Funke gewesen, aus dem sie durch kontinuierliche Bearbeitung ein Flammeninferno heraufbeschworen hatte.
    Die Erinnerung an ihre Leistung zauberte ein Lächeln auf ihr Gesicht. Gemütlich rollte sie zum Schwesternzimmer und warf einen Blick hinein. Niemand da – wahrscheinlich hockten die dummen Hühner in der Cafeteria oder bei Schwester Helen, dieser ordinären Person, und tratschten. Schreckliche Weiber. Sie versicherte sich, dass niemand in der Nähe war, fuhr hinein, griff sich das Telefon, das auf einem Tisch stand und wählte die Nummer der Auskunft.
    Sie musste sich um eine allerletzte Schwachstelle kümmern: Dr. Bertoni. Allein er konnte ihr noch gefährlich werden, darum musste er verschwinden. Sie würde dafür sorgen, dass die Polizei ihn nicht fand und er genügend Zeit hatte, unterzutauchen. Danach wäre alles überstanden, und sie konnte sich für den Rest ihrer Tage in ihrem Triumph sonnen.
    »Bitte verbinden Sie mich mit der Polizeiinspektion St. Gröben«, verlangte sie.
    »Danzer«, meldete sich eine männliche Stimme nach nur einem Läuten.
    »Grüß Gott. Ich rufe aus dem Sanatorium St. Gröben an. Ich habe Informationen zu Herrn Dr. Bertoni.«
    »Einen Moment bitte. Bleiben Sie dran.« Sie hörte, wie er nach einem Stift und Papier kramte. »So, ich bin bereit, Frau …«
    »Ich möchte gerne anonym bleiben. Ich bin nämlich hier angestellt und möchte keinen Ärger kriegen.«
    »Ich verstehe. Natürlich. Also, was für Informationen können Sie mir zu Herrn Bertoni geben?«
    »Wahrscheinlich haben Sie das ohnehin schon selbst herausgefunden, aber der Herr Doktor ist sehr wahrscheinlich in einem dunklen Audi auf dem Weg nach Genf. Dort hat er nämlich enge Freunde.« Hanauer musste ein lautes Lachen unterdrücken, als dieser Herr Danzer sich überschwänglich für die Informationen bedankte. Kretin! Wenn alle Polizisten so leichtgläubig und naiv waren, dann musste sie sich ja keine Sorgen machen. Sie verabschiedete sich, legte auf und rollte zurück auf den Flur. Anschließend fuhr sie mit dem Aufzug ins Erdgeschoss, um mit den anderen dummen Puten zu plaudern. Alles war besser, als dem dicken Morell beim Sterben zuzusehen.
    Noch immer hatte sich die Traube um Schwester Helen nicht aufgelöst. Hatten diese Menschen denn nichts Besseres
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