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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition)
Autoren: Ulrich Wickert
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sprach sie auf Englisch an. Daraufhin antwortete die Knef: »Sie haben einen entsetzlichen Akzent. Reden Sie lieber Deutsch«, und wechselte an den Tisch von FDP-Chef Erich Mende, der zum Frack um den Hals schon einmal das Ritterkreuz trug, das Adolf Hitler 1939 nach dem Angriff auf Polen gestiftet hatte. Es war der populärste Orden der Nazis gewesen und Ritterkreuzträger hochgeachtete Personen. Das kam bei den liberalen Wählern in den sechziger Jahren nicht schlecht an. Denn viele Männer konnten sich mit Mendes Biographie identifizieren: Schule, Wehrmacht, Front, Verwundung, Gefangenschaft, Heimkehr, Wiederaufbau, Karriere.
    Ich zog eine Runde durch die Säle, und als ich eine halbe Stunde später wieder vorbeikam, umarmte mich die Knef, als wäre ich ein alter Freund. Sie wollte aber nur aus den Fängen der Politiker entfliehen. Wir tanzten, dann sagte sie: »Kommen Sie mit, wir fahren ins Maternus.«
    Im Restaurant Maternus in Bad Godesberg herrschte die berühmte Wirtin Ria. Ich quetschte mich in den Wagen mit Hildegard Knef und ihrem Mann David Cameron, mit Max, ihrem Maskenbildner, und noch einem Ehepaar. Ria ließ auffahren: Wein, Kaviar auf Tartarbrötchen.
    »Igitt, Fischeier«, sagte die Knef mit Ekel in der Stimme und kratzte den Kaviar vom Brot. Dagegen sei sie allergisch.
    Ich bestellte eine Zwiebelsuppe in der Gewissheit, dass ich die Rechnung nicht bezahlen würde.
    Rudolf Augstein gesellte sich hinzu und das Ehepaar Friedmann. Er der damalige Herausgeber der Münchener Abendzeitung, sie nicht nur die legendäre Kolumnistin »Sibylle« vom Stern , sondern auch eine Schönheit. Ich fühlte mich wie im siebten Himmel. Um halb sechs trennte ich mich von Hildegard Knef und ihrem Mann am Eingang des Hotels Königshof, und sie sagte mir: »Der Gerstenmaier hat mir über Sie gesagt, er weisch net, ob er schtudiere oder Kinschtler werde soll.«

    Jetzt, ein Jahr später, 1967, waren die Studenten schon unruhiger und die Kontrollen zum Eingang beim Bundespresseball verstärkt worden. Das hatte ich eine Woche zuvor erfahren, weil es die Friseuse meiner Mutter erzählt hatte. Glücklicherweise kannte ich auch die Nebeneingänge der Beethovenhalle, sodass ich meinem Freund Karl, der mit mir versuchen wollte, auf den Ball zu gelangen, vorschlug: »Wir tarnen uns als Musiker.« Die bekamen zwar auch gesonderte Ausweise, aber wir hatten uns eine Taktik überlegt. Karl trug seine Klarinette in einem Köfferchen mit sich, ich eine Trompete, die ich als Fuß einer Lampe in meiner Studentenbude nutzte. Wir warteten, bis einige Musiker gegen 19 Uhr den Nebeneingang ansteuerten und eilten kurz vor ihnen durch die Tür, grüßten den Hausmeister jovial und verschwanden in der Garderobe der Musiker. Der Hausmeister rief hinter uns her: »Haben Sie die rote Karte?«, aber wir achteten nicht auf ihn, der abgelenkt wurde durch die Musiker, die nach uns kamen. Wir packten unsere Instrumente aus, der Hausmeister warf einen Blick herein, sah, dass wir wirklich Musiker zu sein schienen und ließ uns in Ruhe. Dann legten wir die Instrumente wieder in die Köfferchen, hängten unsere Mäntel darüber und verschwanden in den Ballsälen.
    Endlich saß ich dann mit Werner Finck, er war damals 65 Jahre alt, an einem Tisch im großen Ballsaal, wir tranken genüsslich Wein, denn alle Getränke und Speisen sind beim Presseball kostenlos. Zustände wie im Schlaraffenland für einen Studenten. Und wir unterhielten uns ernsthaft über das Thema, das Finck sein Leben lang beschäftigt hat: Freiheit.
    »Ich schreibe das Wort ganz altmodisch«, erklärte er mir: »mit Ypsilon: Freyheit.«
    Als ich ihm erzählte, ich sei Student, sogar Mitglied im Studentenparlament, schlug er mir vor, wir könnten doch gemeinsam eine Veranstaltung zum Thema »Freyheit« an der Universität organisieren. Ich war sofort begeistert. Wann gelingt es einem Studenten schon, solch eine prominente Person mir-nichts-dir-nichts zu einer Diskussion in einen Hörsaal einzuladen. Bald aber kam Rudolf Augstein vorbei, im Schlepptau Berthold Beitz. Rainer Barzel, damals Vorsitzender der CDUBundestagsfraktion, stritt mit mir, wer lauter durch die Finger pfeifen konnte, und um fünf Uhr früh saßen der SPD-Politiker und spätere Wirtschafts- und Finanzminister von Willy Brandt, Karl Schiller, der WDR-Journalist Peter Coulmas und der herrlich baltisch sprechende ZDF-Kommentator Bernd Nielsen- Stokkeby in der Bar der Beethovenhalle und ich wieder mittendrin. Noch ein Bier,
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