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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition)
Autoren: Ulrich Wickert
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den Fritzsche meinte, war ehemals Gestapo- Chef von Paris und maßgeblich beteiligt an der Deportation von mindestens 73 000 Juden und der Erschießung von Tausenden von Geiseln in Frankreich. Dort wurde er in Abwesenheit zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt. Nach dem Krieg arbeitete Lischka in Köln, wo ihn 1971 Beate Klarsfeld aufspürte. Gemeinsam mit ihrem Mann plante sie Lischkas Entführung nach Frankreich. Die Entführung misslang, und das Ehepaar Klarsfeld wurde in Paris zu zwei Monaten Haft verurteilt.
    Doch in der Bundesrepublik lief Lischka frei herum, weil ein – dem ehemaligen Gestapo-Chef gleichgesinnter – Bundestagsabgeordneter der FDP, Ernst Achenbach, jahrelang eine Gesetzesnovellierung verhinderte, wonach Lischka auch in Deutschland hätte zur Verantwortung gezogen werden können. Sittlich war das nicht zu rechtfertigen. Erst 1975 hat der Bundestag schließlich die Gesetzesänderung vorgenommen. Lischka wurde 1979 in Köln vor Gericht gestellt und zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Zwei Drittel der Strafe musste er absitzen.
    Mich hat es damals nicht gewundert, dass in den Diensten, auch in der Polizei, die Gedanken des Dritten Reichs von so manchem noch lebendig gehalten wurden. Als Mitarbeiter der Fernsehsendung Monitor verfolgte ich seit 1969 die Entwicklung des Rechtsradikalismus in Deutschland und erfuhr bei meinen Recherchen, dass die neonazistische Wiking-Jugend (die erst 1994 verboten wurde) zwischen Weihnachten und Neujahr regelmäßig militärische Trainingslager in der Röhn abhielt. Ich fuhr Weihnachten 1971 mit einem Kamerateam dorthin, und wir konnten die Truppe drehen, als sie aus dem Wald herausmarschierte. Aber dann wurden wir von ihnen überfallen, sie gingen mit großen Fahrtenmessern auf uns zu, entrissen dem alten Kameramann die Kamera, brachen sie mit Gewalt auf, rissen den Film heraus und zerstörten sie. Wir flohen mit dem Kamerawagen, meldeten das Ereignis der Kriminalpolizei in Fulda. Dort aber sagte uns der diensthabende Kriminalbeamte nur: »Die Jungs kommen seit Jahren hierher. Alles verläuft immer friedlich. Aber jetzt kommen Sie, schon gibt’s Ärger.« Als wir anboten, die Täter zu identifizieren, wurden wir mit den Worten abgewiesen: »Das erledigen wir schon allein.« – Die Sache war auch bald erledigt und die Strafverfolgung vom Staatsanwalt eingestellt.
    Erst im Jahr 2011 hat der Verfassungsschutz beschlossen, die Nazi-Vergangenheit seiner einstigen Mitarbeiter aufzuarbeiten.
    Eines gab mir aber 2011 noch zu denken: Von den drei Mitgliedern der Terrorzelle der Neonazis in Zwickau, die mindestens zehn Menschen ermordet haben, wusste der Verfassungsschutz nichts. Aber er überwacht zwei Dutzend Bundestagsabgeordnete der Linken, so als wollten sie die Verfassung aus den Angeln heben.

    Hans Fritzsche hat sich nie in seinem Leben arrangiert. Sein Leben war nicht von der Sucht nach Erfolg oder Karriere bestimmt, sondern von Werten. Zum vierzigsten Gedenktag des 20. Juli zeichnete er seine Erinnerungen auf unter dem Titel »Ein Leben im Schatten des Verrats«, darin schreibt er, dass ein »Wort« ihn »Zeit meines Lebens bewegt« hat:
    »J. G. Fichte hat den kategorischen Imperativ Kants auf die Liebe zum Vaterland umgedeutet:
    ›Und handeln sollst du so, als hinge
    von dir und deinem Tun allein
    das Schicksal ab der deutschen Dinge,
    und die Verantwortung sei dein!‹«

Freyheit. Das Lebensmotto
des Kabarettisten im KZ
    »Es gibt also Leute, die behaupten, ich sei gegen die Nazis gewesen«, sagte Werner Finck, »das sind Verleumdungen. Was ich natürlich zugeben muss, ist etwas anderes: Die Nazis waren gegen mich.«
    Sie steckten ihn schon 1935 ins Konzentrationslager – wegen seiner Witze über sie.
    Er beherrschte die Kunst, das Wort als Waffe zu nutzen, wie kaum ein anderer. So begann er häufig einen Satz, stockte und drehte ihn im zweiten Halbsatz um seine Achse. Das möge man ihm nachsehen, den Grund dafür erklärte Finck einmal scherzhaft so: »Das habe ich mir damals angewöhnt in der schrecklichen Zeit des Dritten Reichs. Wenn ein Gauleiter mit mir sprach, dann sagte ich erst mal einen halben Satz und wartete, wie das bei ihm wirkt. Dann konnte ich das Ende immer noch reparieren. Auf diese Weise ist mir manches erhalten geblieben«, und dann zeigte er auf seinen Hals, »was ich heute noch gut gebrauchen kann.« Und gern fügte er dann hinzu, dass er Politiker beneide, die flüssig sprächen, »meistens sogar überflüssig. Ich muss so oft
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