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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition)
Autoren: Ulrich Wickert
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Richard von Weizsäcker bei einem unserer zahlreichen Treffen gefragt und hinzugefügt, dass die Mehrzahl der Deutschen sich als Besiegte empfunden haben, nicht als Befreite.
    Dafür mag das Schicksal von Hans Fritzsche zeugen. Denn er hatte mir gesagt: »Viele Leute traf ich, sei es im privaten oder auch im dienstlichen Bereich, für die war der 20. Juli eben immer noch der unberechtigte Aufstand gegen den Obersten Kriegsherren mitten im Krieg; die Dolchstoßlegende wurde aufgewärmt, im Grunde sei es eben doch Hoch- und Landesverrat gewesen und deshalb nicht zu rechtfertigen. Nun, ich glaube aber, das ist eine Generationenfrage.«
    Ein wenig unwirsch antwortete mir Richard von Weizsäcker, natürlich sei es eine Befreiung gewesen. Zum Beispiel für ihn. Man durfte endlich wieder sagen, was man wollte, und kam dafür nicht mehr in Gestapo-Haft, etc.
    Ja, das Kriegsende ist objektiv eine Befreiung gewesen.
    Und dies in seiner Rede vom 8. Mai 1985 für das Geschichtsverständnis der kommenden Generationen festlegt zu haben, ist das große Verdienst von Richard von Weizsäcker.
    Doch subjektiv haben diejenigen, die ihr Leben im Widerstand gegen das Nazi-Regime riskiert haben, nicht empfunden, dass sich das deutsche Volk befreit fühlte und denjenigen dankte, die für die Befreiung von den Nazis gekämpft hatten.

    Im Frühjahr 2007 moderierte ich in Berlin eine Veranstaltung zum hundertsten Geburtstag von Helmuth James Graf von Moltke, der ein »Motor« des politischen Widerstands, genannt »Kreisauer Kreis«, gewesen war, mit Eugen Gerstenmaier gemeinsam von dem Präsidenten des Volksgerichtshofes Roland Freisler vor dem Volksgerichtshof angeklagt und im Januar 1945 hingerichtet worden war. Mit auf dem Podium saß Richard von Weizsäcker, in der ersten Reihe des Publikums hatte Moltkes inzwischen 96 Jahre alte Witwe Freya Platz genommen.
    Als ich wieder hartnäckig das Thema »befreit oder besiegt?« aufbrachte und Freya von Moltke fragte, wie sich das deutsche Volk zu Kriegsende ihr gegenüber verhalten habe, da stand sie auf und rief zornig mit kräftiger Stimme: »Verräter! Verräter wurden wir beschimpft!« Deshalb war sie 1947 nach Südafrika in die Heimat ihrer verstorbenen Schwiegermutter gezogen, später dann in die USA, wo sie 2010 gestorben ist.

    Zurück zur geheimen Akte über Hans Fritzsche.
    Der Hauptmann des IR 9, der am 20. Juli im Zentrum des Staatsstreiches gestanden hatte, war nach dem Krieg geradezu beseelt von dem Gedanken, alles tun zu müssen, um zu verhindern, dass sich eine solche Zeit wiederhole.
    »Wäre es da nicht sinnvoll gewesen, zur Bundeswehr zu gehen, als die aufgebaut wurde?«, fragte ich ihn. »Hätte ein Widerständler unter den Offizieren der Bundeswehr nicht gut angestanden?«
    »Ja, eigentlich hatte ich einen Wiedergutmachungsanspruch auf Wiedereinstellung in die Bundeswehr. Man hat mir das auch schriftlich mitgeteilt. Aber als ich dann die ersten Fühler ausstreckte, merkte ich deutlich eine Aversion gegen die Überlebenden vom 20. Juli. Einige aus der Spitze haben sich aus politischen Gründen dazu bekannt; denn etwas gegen den 20. Juli zu sagen, war einfach in den Nachkriegsjahren nicht opportun.
    Aber die Äußerung des Sicherheitsbeauftragen, des Vorgängers des Verteidigungsministers, Theo Blank, als der sagte, wir hätten schon zu viele vom 20. Juli in der Bundeswehr, sprach doch Bände.«
    Zu viele: Da war kein Einziger!
    »Wie wurde in der Bundeswehr das Phänomen des 20. Juli behandelt?«
    »Offiziell wurde die Formel gefunden, die dann General Heusinger vortrug, dass die Männer des 20. Juli in einer einmaligen, nie wiederkehrenden Situation gehandelt hätten, und dass man ihre Motive zu würdigen hätte, dass aber die Motive derer, die bis zum Schluss mitgemacht hätten, auch zu würdigen seien.«
    General Heusinger befand sich im Führerhauptquartier, als die Bombe explodierte. Später erhielt er das goldene Verwundetenabzeichen eigenhändig von Hitler für beim Attentat erlittene Verletzungen.
    Selbst 2012 weiß die Bundeswehr noch nicht, wie sie Stauffenberg ehren soll. Auf Beschluss von Verteidigungsminister Thomas de Maizière soll die einzige deutsche Kaserne geschlossen werden, die den Namen Stauffenbergs trägt. Die Familie des Widerständlers hat es aus der Zeitung erfahren. Der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan, jetzt ehrenamtlicher Vorsitzender der Stauffenberg-Gesellschaft Baden-Württemberg, forderte immerhin eine
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