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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition)
Autoren: Ulrich Wickert
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Rundfunkstation in der Masurenallee in Berlin zu besetzen und dort einen Sprecher von uns ans Mikrophon zu bringen, ausgeführt worden wäre. Diese Sache wäre geglückt. Das ist offensichtlich in der Aufregung der Ereignisse versäumt worden.«

    Um 15 Uhr 35 kommt der ersehnte Anruf.
    Fritzsche und seine drei Kameraden machen sich zu Fuß auf den Weg zur Bendlerstraße. Als sie beim Oberkommando des Ersatzheeres eintreffen, warten dort in einem kleinen Dienstraum der Bruder von Oberst Stauffenberg, Eugen Gerstenmaier und auch Fritzsches Regimentskamerad Fritz Graf von der Schulenburg, genannt Fritzi.
    Um 15 Uhr 50 löst General Olbricht den Plan »Walküre« mit dem Stichwort »Deutschland« aus. Mit diesem Befehl soll der Staatsstreich eingeleitet werden. Olbricht meldet dem Oberbefehlshaber des Ersatzheeres, Generaloberst Fromm, der Führer sei tot. Fromm fragt bei General Keitel im Führerhauptquartier zurück und erfährt von dem Attentat. Der Führer sei aber nur leicht verletzt.
    16 Uhr 20. Fromm befiehlt, den Walküre-Befehl nicht auszulösen. Stauffenberg trifft ein. Olbricht berichtet, er habe Walküre schon ausgelöst. Fromm weigert sich, die Putschisten zu unterstützen. Hauptmann Fritzsche wirkt an der Verhaftung Fromms mit. Generaloberst Beck fordert die Mitverschworenen auf zu handeln, als ob Hitler tot wäre. Um 17 Uhr 30 werden die außerhalb von Berlin liegenden Truppen alarmiert. Auch in Wien und Paris läuft die Aktion an.
    Um 17 Uhr 42 sendet der Rundfunk zum ersten Mal die Meldung: Hitler lebt.
    Um 19 Uhr telefoniert Generaloberst Beck mit Generalfeldmarschall von Kluge in Paris. »Ich konnte mit einem besonderen Kopfhörer das Gespräch mithören«, erzählte mir Fritzsche. »Beck sprach Kluge an als seinen Kriegskameraden vom 1. Weltkrieg. Aus diesem Kameradschaftsgefühl heraus appellierte er an ihn, führte ihm in wenigen, knappen Sätzen den bevorstehenden Untergang Deutschlands vor Augen und wies auf den Verbrecher an der Spitze hin. Kluge sagte: ›Hitler lebt. Ich habe meine eigenen Nachrichten. Ich kann nicht mitmachen.‹ Beck legte verzweifelt den Hörer auf.«
    Bewaffnete Offiziere, die in den Putsch nicht eingeweiht waren, verhaften die Mitglieder des Widerstands. Aber sie wissen nicht, wer alles dazugehört.
    Fritzsche, so schildert er es, hatte unsägliches Glück.
    »In diesem Moment tritt ein bejahrter weißhaariger Oberst auf mich zu und fragt in österreichischem Dialekt, was hier los sei. Er sei von der Dienstelle der Wehrmachtspropaganda hierhergerufen worden. Ich sage zu ihm: ›Ich weiß auch nicht, Herr Oberst. Ich empfehle Herrn Oberst sofort zur Dienststelle zurückzugehen. Ich werde Herrn Oberst begleiten.‹ Er stimmte erleichtert zu, ich begleitete ihn die Treppe hinunter bis zur Wache, dort stand schon bewaffnete Verstärkung, auch an SS-Männer erinnere ich mich dunkel; den Oberst ließ man passieren, weil man ihn ja schon eben beim Hineingehen gesehen hatte. Mich fuhr man an: ›Und wer sind Sie?‹ Ich antwortete schnell: ›Ich bin der Adjutant von Herrn Oberst‹, folgte ihm und draußen war ich.«
    Von weitem hört Hauptmann Fritzsche die Schüsse. Stauffenberg und andere Widerständler werden hingerichtet.
    Mit der letzten S-Bahn erreicht er Potsdam. Kurz nach ein Uhr betritt er das Offizierskasino. Oppen wartet auf ihn. Er ist auch entkommen. Stille. Das Radio läuft. Der Führer spricht.
    Fritzsche wird ein paar Tage später von der Gestapo verhaftet. Einige Monate sitzt er in verschiedenen Gefängnissen. Doch wieder hat er Glück. Sein Chef beim IR 9, Major Meyer, entsendet einen Infanteriefeldwebel, der das Band des Blutordens trägt. Er hatte am Hitlerputsch 1923 teilgenommen und deshalb das Recht zum Immediatvortrag bei Hitler und Himmler. Er bürgt für Fritzsche, der wird freigelassen und an die Front geschickt. Er gerät in russische Gefangenschaft. Dort wird er von den Offizieren der Wehrmacht als Verräter bedroht. 1947 wird er schließlich entlassen.

    Von unseren Gesprächen Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre ist es noch lange hin bis zu der Rede des Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker am 8. Mai 1985. Er hält zum vierzigsten Jahrestag des Kriegsendes eine bis heute nicht vergessene Rede, sagt den inzwischen oft zitierten Satz: »Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.«

    »War es wirklich ein Tag der Befreiung?«, habe ich
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