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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition)
Autoren: Ulrich Wickert
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überzeugende Alternative: »Sie muss deutlich machen, dass der Widerstand gegen die Nazi-Diktatur eine bedeutende Traditionslinie der Bundeswehr ist.«

    Schließlich hat Hans Fritzsche von der geheimen Akte erfahren. Er war völlig außer sich, als ich wieder einmal abends zu ihm kam. Einige Tage zuvor hatte sein Vorgesetzter an der Tür seines Dienstzimmers im Bundesfamilienministerium geklopft. Mit ernster Mine übergab der Ministerialdirigent ihm dann einen Leitzordner mit Dokumenten des Verfassungsschutzes und forderte Fritzsche auf, sich nach dem Studium der Akten dazu zu äußern.
    Da stand nun, Fritzsche habe nie etwas mit dem 20. Juli zu tun gehabt, sei auch nie »Kommandeur« gewesen, sondern in Wirklichkeit als kommunistischer Agent anzusehen. Aus den Akten ging hervor, dass irgendjemand ehemalige Mitgefangene im russischen Lager gebeten hatte, Fritzsche zu beurteilen. Und die sagten, was sie Fritzsche schon in der Gefangenschaft vorgeworfen hatten: Er sei ein Sowjet-Bolschewik.
    Fritzsche empört sich gegenüber seinem Chef, doch der Ministerialdirigent hat noch nie ein Buch über den 20. Juli gelesen, was er freimütig zugab, obwohl er eine Zeit lang Referent für politische Bildung in einem Ministerium gewesen war.

    Inzwischen hatte ich mein juristisches Staatsexamen abgelegt und meine ersten Gehversuche als Hörfunkjournalist unternommen. Aus unseren Gesprächen, die ich mit dem Tonband aufzeichnete, ist dann 1974 ein am 30. Jahrestag des 20. Juli gesendetes Hörfunkfeature entstanden.
    Aus der geheimen Akte erfährt Hans Fritzsche nicht nur die Namen der Denunzianten, sondern auch, was der Verfassungsschutz alles gegen ihn unternommen hatte.
    »Ich wurde observiert, und mein Telefon wurde abgehört«, erzählte er mir. »Als ich dann Persönlicher Referent des Bundestagspräsidenten geworden war, da war das nicht mehr aufzuhalten. Ich wurde von Bekannten gewarnt, die gehört hatten, in Köln seien Leute, von denen einer gesagt habe, er würde sich nicht scheuen, mich über den Haufen zu schießen. Das alles waren Gegner der Aufständischen vom 20. Juli. Sie glaubten, hier einen Überlebenden schlicht fertigmachen zu können.«
    Fritzsche, inzwischen vom Bundespräsidenten mit einem hohen Orden ausgezeichnet, wurde mit allen Mitteln durchleuchtet. Man setzte, wie er sagte, sogar »Weiber« auf ihn an, die sich in seiner Wohnung umsehen sollten, um zu erfahren, welche Bücher er, der promovierte Historiker, lese.
    »Um mal diese Methoden, die hier angewendet worden sind, zu charakterisieren: Ich habe herausbekommen, dass sogar eine Rolle spielte, was in meiner Bibliothek stand. Ich empfand es sogar als Pflicht eines historisch gebildeten Menschen, selbstverständlich auch die marxistische Literatur zu studieren. Ich wollte wissen, was Trotzki und Stalin eigentlich wollten und wie die Geschichte Russlands sich abgespielt hatte vor und nach der Oktoberrevolution. Selbstverständlich stehen die Bücher in meinem Schrank neben Ranke und Treitschke und neben den großen Historikern des 19. Jahrhunderts.
    Das Bezeichnende ist, dass man von den Büchern, die in einem Regal stehen, Rückschlüsse zieht auf die politische Gesinnung eines Menschen. Im Dritten Reich hat man ja bekanntlich diese Bücher beschlagnahmt. Kein Richter, kein höherer Beamter, kein Parlamentarier würde zugeben, dass Gesinnung verfolgt wird. Dass man aber vielfach Leuten mit einer bestimmten Gesinnung, die man nicht mag, unmerklich die Möglichkeit nimmt, ihre Meinung frei zu äußern, darüber besteht kein Zweifel für mich.«
    Es war 1974, und wir sprachen darüber, dass nun, zum dreißigjährigen Gedenken, von prominenten und angesehenen Leuten feierliche Reden gehalten würden. Fritzsche zeigte sich nachdenklich. Da würden sich die Witwen versammeln, einige wenige Überlebende: »Das ist ja alles schön und gut, aber ich stelle doch die Frage, ob es dem Sinne der Opfer nicht nur des 20. Juli, sondern des gesamten Widerstands gegen Hitler entspricht, wenn so ein Mann wie Lischka, dieser Judenreferent aus Paris, aus der Besatzungszeit, wenn der hier friedlich frei herumläuft. Man kann natürlich sagen, von juristischem Standpunkt geht das alles in Ordnung, aber dann muss man an den Gesetzen eben etwas ändern. Denn dass die Verbrecher, die immerhin den Ruf des deutschen Volkes beschmutzt haben, dass diese Verbrecher zur Rechenschaft gezogen werden müssen, das war einhellige Meinung aller Beteiligten des 20. Juli.«
    Kurt Lischka,
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