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Neugier und Übermut (German Edition)

Neugier und Übermut (German Edition)

Titel: Neugier und Übermut (German Edition)
Autoren: Ulrich Wickert
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noch einen Whisky, kost’ ja nix.
    Werner Finck war irgendwann gegangen. Und ich war zu dumm gewesen, mir seine Adresse geben zu lassen. Jetzt würde nichts aus der Diskussion über »Freyheit« an der Universität. Um neun Uhr früh fiel ich in meiner Studentenbude ins Bett. Damals befand ich mitten im Examen. Das war am 28. November 1967.
    In der ersten Januarwoche hatte ich am Oberlandesgericht in Köln die Klausuren für das Erste juristische Staatsexamen geschrieben und bereitete mich auf das mündliche Examen vor. Die schönste Stelle zum Lernen war für mich ein Schreibtisch am großen Fenster der Bonner Universitätsbibliothek mit Sicht auf den Rhein. Ich kannte die Namen fast aller Frachtkähne auswendig, da ich meinen Blick häufig von den Gesetzeskommentaren hob und von der Fahrt den Fluss herunter nach Rotterdam und von dort in die weite Welt hinaus zu träumen begann.
    Es war Montag, der 8. Januar 1968, als ich Werner Finck in die Uni-Bibliothek hereinschlendern sah. Ich glaubte an eine Fata Morgana. Er war sichtlich ein Fremdkörper, aber niemand schien ihn wahrzunehmen. Er griff sich ein Buch und setzte sich an einen freien Platz. Es muss früh am Nachmittag gewesen sein. Ich stellte mich Werner Finck vor als den Studenten, der ihn auf dem Presseball angesprochen und über eine mögliche Diskussion über »Freyheit« mit ihm an der Universität phantasiert hatte.
    »Gehen wir ein wenig peripetieren«, sagte er fröhlich und stellte das entliehene Buch wieder an seine Stelle im Regal. Er sei nur aus Neugierde in die UB gekommen, weil ihm der moderne Bau direkt am Rhein gefallen habe. Er wollte peripetieren, ich wusste nicht, was er meinte. Aber ich sagte munter: »Dann wollen wir mal peripetieren.« Er meinte wohl nur, lassen Sie uns ein wenig umherwandeln.
    Wir peripetierten also eine Weile und kehrten dann in einem Café ein und sprachen nur noch über unser beider Lieblingsthema, die »Freyheit«. Mir war der Begriff während des Studiums in den USA zum Thema geworden. Und hier in der Bundesrepublik fehlte mir vieles, was mit Freiheit zu tun hatte. Man konnte ja noch nicht einmal mit seiner Freundin in ein Hotel gehen, ohne nach dem Trauschein gefragt zu werden. Der Hotelwirt hätte sich sonst der Kuppelei strafbar gemacht. Dass Eltern ihren erwachsenen Töchtern oder Söhnen erlaubten, einen Freund oder eine Freundin über Nacht aufzunehmen, das war kaum denkbar. Der Staat drohte mit dem Kuppeleiparagraph. Oder zumindest der Nachbar, der einen vielleicht wegen Unzucht anzeigte, weil man in der falschen Partei war. So war das damals. Mein Hauswirt, ein Fahrschullehrer, der im Keller noch ein Ölbild von sich in jungen Jahren in SS-Uniform neben den Öltanks stehen hatte, drohte mir mit Kündigung wegen zu häufigen Damenbesuchs, er könne deswegen im Zuchthaus landen.
    Während Sex heute niemanden mehr aufregt, junge Mädchen sogar die Gerüche ihrer Organe oder ihre Besonderheiten beim Vollziehen der Fellatio zwischen Buchdeckeln verewigen und hunderttausendfach verhökern – gelobt vom Feuilleton –, war Sex in den sechziger Jahren noch ein Tabu. Deshalb hatte ich als Vorsitzender der Humanistischen Studentenunion in Bonn einen »dies sexualis« organisiert, als Kontrast zum langweiligen »dies academicus«, den die Universität offiziell veranstaltete. Da sprachen Wissenschaftler über Thesen zur Sexualität, sexuelle Tabus als Mittel gesellschaftlicher Kontrolle und der liberale Professor Ulrich Klug, später wurde er Justizsenator in Berlin, über Probleme einer Reform des Sittlichkeitsstrafrechts. Damals konnte man schon deswegen bestraft werden, weil man homosexuell war!

    Nun aber saßen wir im Café, und ich wollte von Finck wissen, wie es denn »davor« gewesen war, wie er die Nazis überlebt hatte.
    Sein Vater war Apotheker in Görlitz gewesen, doch Sohn Werner taugte zu nichts. Er flog aus der Schule, zog als singender Wandervogel durch die Lande, wollte Schauspieler werden, spielte den Mephisto in Darmstadt, ein Versuch, der als Fiasko endete. Im Alter von 27 Jahren kam er schließlich nach Berlin und gründete dort das Kabarett »Die Katakombe«, an dem Erich Kästner, Theo Lingen, Ernst Busch, Hanns Eisler und Erik Ode mitwirkten. Finck moderierte die Abende. Doch vom 30. Januar 1933 an gehörten Mitarbeiter der Gestapo zum Stammpublikum. Einmal bemerkte Finck einen Spitzel der Geheimen Staatspolizei, der sich Notizen während seines Auftritts machte. Finck sprach ihn deutlich an:
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