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Neue Zeit und Welt

Neue Zeit und Welt

Titel: Neue Zeit und Welt
Autoren: James Kahn
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willst, dann werden wir dich übergeben. Aber es wäre besser, wenn du dich angemessen verhalten würdest, denn das würde dem See gefallen, und sein Gesicht würde uns lächeln.«
    Ollie wollte antworten, aber Jasmine winkte ab.
    »Wir verlassen dich jetzt, Vieileau. Aber sag mir noch – warum hat der See uns das erste Mal ausgespien, wenn er uns heute Abend doch verschlingen will?«
    »Der See will nicht dich, denn du riechst nicht nach Fleisch. Er wollte den Dunklen, konnte ihn aber nicht verzehren, bevor er Kreischerfleisch genossen hat. Nur das dünne Öl der Kreischer schützt den See vor anderen Fleischgiften. Nun hat der Dunkle Kreischerfleisch gegessen, und der See kann ihn ungefährdet verzehren.«
    Jasmine verbeugte sich, dann gingen sie.
    »Es muss im Kreischerfleisch einen aromatischen Kohlenwasserstoff geben, der nach der Mahlzeit rasch in deine Haut aufgenommen wurde. Er hat in deiner Haut irgend etwas verändert oder entgiftet, das dich gegen enzymatische Auflösung durch die Amöbe geschützt hat. Erstaunlich, wenn das wahr ist. Aber nun werden wir es wohl nie genau erfahren.«
    »Und wenn ich ein paar Tage lang kein Kreischerfleisch esse?«
    »Tja, wir wissen nicht einmal, wie lange die Wirkung anhält. Und vielleicht ist es gar nicht das Kreischerfleisch, sondern irgend etwas im Wasser oder in der Luft, und es haftet an dir, solange du hier unten bist. Außerdem glaube ich nicht, dass sie dir ein paar Tage Zeit lassen werden.«
    Er nickte.
    »Nun gut. Glaubst du, wir können das Ding töten? Ich … ich würde es lieber nicht tun – ich meine, wenn es sein muss, natürlich –, aber sie scheinen hier so glücklich zu sein, diese Wesen.
    Selbst der eine, der den Tod gefunden hat. Friedlich, schlicht … wenn wir nur nicht hinuntergestürzt wären.«
    »Wir sind nicht gestürzt, sondern heruntergeholt worden. Und was diejenigen angeht, die sterben – ich kann mir nicht vorstellen, dass es sehr angenehm ist, von einer Riesenamöbe lebendig verzehrt zu werden.«
    »Nein, da hast du wohl recht. Immerhin – es gibt auf der Welt nicht mehr viele, nicht wahr? Menschen, meine ich. Und sie scheinen sich hier gut zu halten. Wenn wir also einfach weggehen könnten, ohne das Gleichgewicht allzu sehr zu verändern, sollten wir das auch versuchen.«
    Jasmine lächelte herzlich.
    »Du hast meine Lehren also nicht ganz vergessen. Auf jeden Fall sollten wir das Ding nur im äußersten Notfall töten. Wenn es stirbt, gehen das strömende Zellplasma und die aufrechten Pseudofüße zugrunde – und wir kommen überhaupt nicht mehr hinaus.«
    Sie erreichten den See und starrten in die dunkle Klarheit hinab.
    »Wo kann so etwas hergekommen sein?« fragte Ollie versonnen.
    »Höchstwahrscheinlich stammt es von genetischen Ingenieuren. Ich weiß nicht, wie dieses Ökosystem hier angefangen hat, aber dieses große Protozoon scheint das Ergebnis einer kleinen, unkomplizierten Manipulation an ein paar Regelungsgenen zu sein. Man hat das schon ziemlich bald bei den Gen-Experimenten gemacht.«
    Ollie nickte. Jasmine hatte ihm vor Jahren von den zahllosen Genmanipulationen erzählt, die zweihundert Jahre zuvor stattgefunden hatten. Er begriff nicht so ganz, wie es dazu gekommen war, aber heute war das ein Bezugspunkt für ihn – vor zweihundert Jahren hatte es eine Zeit gegeben, in der eine Magie namens Wissenschaft viele der Geschöpfe hervorgebracht hatte, die jetzt auf der Erde alltäglich waren.
    »Auf jeden Fall dürfte es das Beste sein, das Ding zu schwächen«, fuhr Jasmine fort, »vielleicht seine inneren Botschaften durcheinander zu bringen, es auf irgendeine Weise abzulenken – während wir den langen Fuß zum Fluss hinaufschwimmen.«
    »Könntest du es in Flammen setzen? Mit den Fackeln in deinen Fingern?«
    »Ich glaube, das würde nur die Zellmembran so schädigen, dass sie nicht wiederhergestellt werden kann«, sagte sie kopfschüttelnd. »Setzen wir uns hin und denken wir ein paar Minuten nach.«
    Sie setzten sich an den Teich und grübelten. Wieder waren große, vergilbende Trompetenbaumblätter herabgefallen und schwammen friedlich auf dem Wasser. Jasmine richtete ihre Aufmerksamkeit auf sie, bis ihre Gedanken dahinschwebten wie sie, kühl, gewichtslos und aufnahmefähig.
    Im ganzen Lager ging das Treiben weiter wie bisher. Einhörner und Menschen betrieben Spiele mit Ringen, aus Federn geflochten. In der Luft hing sanftes Gelächter, träg dahinschwebend wie die Blätter auf dem See, und das
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