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Neue Leben: Roman (German Edition)

Neue Leben: Roman (German Edition)

Titel: Neue Leben: Roman (German Edition)
Autoren: Ingo Schulze
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langen wie dürren Tanzpartners schob sich immer wieder zwischen unsere Blicke. Unverwandt sah sie herüber. Offenbar war sie sich über die Rollenverteilung zwischen Steen und mir im unklaren. Ich wußte ja selbst nicht, was ich hier trieb. Sie war keine Schönheit, aber der Ernst ihres Gesichtes betörte mich.
    In den musiklosen Sekunden bat ich sie um den nächsten Tanz. Ihr Begleiter schrie, ich solle mich zum Teufel scheren. Wir begannen zu tanzen. Er, nicht bereit, das Feld zu räumen, trat zwischen uns. Eine Drehung genügte, und er stand wieder abseits. Um ihm zuvorzukommen, nahm ich sie in die Arme, ich dachte nicht nach, ob ich richtig oder falsch handelte, aber als sie sich fügte, sich regelrecht zu mir flüchtete, war es pures Glück. Die Stimme des Dürren bebte vor Empörung, während er seine Geliebte anstarrte. Die Ärmel aufgekrempelt, die Hände halb erhoben, schien er gewillt, uns mit Gewalt voneinander zu trennen. Sie konnte nur an meinem Reflex, an der Bewegung meines Körpers gespürt haben, was geschah. Sie warf ihren Kopf zur Seite, und als würde sie ihm vor die Füße spucken, ergoß sich auf rumänisch, wie ich glaubte, eine Flut von Beschimpfungen.
    So unterwürfig, wie er den Blick senkte, habe ich noch niemanden kapitulieren sehen. Sein Gestammel verstand ich nicht. Schließlich steuerte er auf einen Tisch am Rand der Tanzfläche zu, wo er, als er saß, förmlich zusammenbrach.
    Sie küßte meinen Hals, und trunken spürte ich eine ungestüme Lust, in die ich nur hinabzutauchen brauchte, um meine Verlorenheit zu vergessen. Mir genügte es, diese Frau bei mir zu fühlen, und alles wurde einfach und klar.
    Ich fragte, ob ich sie zu einem Glas einladen dürfe. Sie sah mich nahezu flehend an und schüttelte den Kopf. Etwas späteraber nahm ich sie an der Hand und führte sie zu dem Tisch, an dem Steen und die Frauen uns schon erwarteten.
    Kaum saßen wir, vor uns ein Tablett mit gefüllten Gläsern, trat ihr Freund heran und forderte sie sehr ernst zum Tanz auf. Ohne aufzusehen, schüttelte sie den Kopf. »Tanz mit mir«, wiederholte er. Es war ein Befehl, doch sein zitterndes Kinn verriet seine Angst.
    »Sag etwas«, donnerte er plötzlich auf sie nieder, »sag, daß ich gehen soll! Sag irgendwas, und ihr seid mich los!«
    »Ich bitte Sie«, sagte ich und stand auf, »gehen Sie.«
    »Ein Wort aus diesem schönen Mund genügt«, preßte er hervor. »Diese da, nicht dieser Schwätzer, soll mir befehlen!« Er zeigte auf sie und entblößte dabei eine Tätowierung auf seinem Handgelenk, verwaschene Buchstaben, ein D und ein F.
    Die Frauen begannen auf ihn einzureden. Die Männer im Hintergrund hatten sich mit mir erhoben. Ich war bereit, mich auf ihn zu stürzen, ich wollte diese Farce beenden.
    Ich kann nicht sagen, ob es ein Schreckenslaut war oder eine hastige Bewegung, weshalb ich zu Steen sah. Er, der schon vorher kein Auge von meiner Schönen gewandt hatte, starrte sie nun an. Sein Lächeln war in den Mundwinkeln festgefroren. Eine Frau hinter ihm stieß einen Schrei aus. Entsetzt wich man vor meiner Schönen zurück. Mir offenbarte sie sich zuletzt. Hast Du je in einen Mund voller schwarzer Stummel geblickt? Sie lachte, wohl wissend, wie sehr sie damit ihre Häßlichkeit steigerte.
    Der Dürre seufzte, machte kehrt und schlurfte davon. Bevor ich etwas sagen oder tun konnte, war sie aufgesprungen und ihm gefolgt. Es war leicht, ihren Weg zum Ausgang zu verfolgen, weil sich die Menge wie von selbst vor ihr teilte und hinter ihr nur zögerlich wieder schloß.
    Soviel für heute!
    Dein E.

 
     
    Freitag, 19. 1. 90
     
    Lieber Jo!
    Das hier ist Manuskriptpapier, auf das alle Artikel übertragen werden müssen, dreißig Zeilen zu je sechzig Anschlägen. Ich übe schon mal. 19
    Heute morgen habe ich einen Brief an Dich eingeworfen, in dem ich Dir von meinen nächtlichen Abenteuern berichte. Heute mittag erwartete uns bereits die nächste Prüfung. Georg, Jörg und ich mußten uns nämlich die Gewerbegenehmigung im Handstreich erobern. Die Druckerei in Leipzig will endlich einen Stempel sehen. Ohne Registrierung kein Vertrag. Der Antrag liegt seit Mitte Dezember beim Rat des Kreises.
    Das Vorzimmer war leer. Wir klopften beim Ratsmitglied für Handel und Gewerbe an und standen im nächsten Augenblick in seiner Höhle. Glaub mir: zum ersten Mal sah ich, wie Licht
versickert
. Jedwede Helligkeit verendete in einer Reuse aus Qualm, jahrzehntealtem Zigarrenqualm, der wie Vulkanasche auf den
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