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Nette Nachbarn

Nette Nachbarn

Titel: Nette Nachbarn
Autoren: Marcia Muller
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ob
irgend jemand weiß, wem es gehört. Wenn es niemand erkennt, könnte das unser
erster konkreter Beweis dafür sein, daß jemand wirklich versucht, diese Leute
zu erschrecken.« Ich wies auf die Treppe. »Laß uns mal nachsehen, ob wir auf
dem Dach noch etwas anderes finden.«
    Wir stiegen sieben Treppen hinauf, und
Carolyn schloß die Tür zum Dach auf. Wie sie gesagt hatte, gab es hier hohe
Geländer an den Außenseiten. Es mochte kein sehr guter Ort sein, um Kinder
unbeaufsichtigt spielen zu lassen, aber unter den Augen eines wachsamen
Erwachsenen konnte ihnen kaum etwas zustoßen. Und es gab ausreichend Platz für
einen Garten.
    Ich durchsuchte alles gründlich, fand
aber nichts, ging dann zur Westseite hinüber und schaute über die Dächer.
Allmählich verspürte ich selbst etwas von dem Ärger, den Carolyn empfand. Als
hätte sie das gefühlt, trat sie neben mich und sagte: »Weißt du, manchmal fühle
ich mich so hilflos. Es gibt so vieles, was diese Leute — meine Leute — brauchen,
und so wenig, was ich für sie tun kann. Das Center hat weder die Leute noch die
Mittel. Jedes Jahr fürchten wir, keinen neuen Fonds mehr zu bekommen, und immer
gibt es da die zwei Monate, in denen wir auf Kredit leben und ohne Gehalt
arbeiten, warten, was wir von der Regierung und von privaten Stiftungen
zugeteilt bekommen. Und dann sehe ich jemanden wie Roy LaFond, der helfen
könnte, wenn er wollte...«
    »Ich glaube, ich kann dich verstehen.«
    Sie musterte einen Moment lang mein
Gesicht. Dann nickte sie entschieden. »Ja, ich glaube, du tust es.«
    Ich schaute wieder über San Francisco
hin, sah die geduckten Dächer des Tenderloin und, dahinter, die Kuppen der
Hügel und die Wolkenkratzer, in denen die reichen Leute wohnten. In letzter
Zeit hatte ich mehr und mehr das Gefühl, daß es auf der Welt zuviel unnütze
Verschwendung gab, Verschwendung unserer kostbaren natürlichen Schätze — gleichgültig,
ob es sich dabei um Wälder oder gefährdete Tierrassen handelte. Oder um
Menschen. Und das meiste entsprang demselben Grund, der Roy LaFond veranlaßte,
sein Dach abgeschlossen zu halten und das Betreten zu verbieten. Es war einfach
Feigheit — die Unfähigkeit, ein persönliches Risiko einzugehen oder sich für
etwas einzusetzen, von dem man wußte, daß es richtig war.
    Vielleicht, so dachte ich, gehörte ich
nicht in diese Welt, in die achtziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts, in
denen Dinge mehr zählten als Menschen. Vielleicht war ich zu sehr ein Kind der
sechziger Jahre, zurückgeworfen in eine Zeit, in der viele von uns versucht
hatten, sich umeinander zu kümmern. Aber ich konnte es nicht ändern; ich mußte
einfach weitermachen, tun, was ich nur konnte, auf meine eigene Art. Und eines
konnte ich tun: Ich konnte versuchen, die Dinge für diese Leute hier im
Globe-Hotel in San Franciscos Tenderloin besser zu machen, hier, an diesem
Wintertag in den achtziger Jahren.
     
     
     

DRITTES
KAPITEL
     
    Carolyn mußte in ihr Büro zurück, also
versprach ich, mich später noch bei ihr zu melden. Wir trennten uns auf dem
Fußweg vor dem Hotel, und ich sah ihr nach, wie sie auf die Market Street
zueilte. Ihr glänzendes Haar hüpfte auf und ab, als sie sich ihren Weg durch
die langsamer gehenden Fußgänger bahnte. Ein großer Schwarzer — nur in Jeans
und mit offener Lederweste trotz der Dezemberkälte — blieb stehen und starrte
sie mit unverhohlenem Vergnügen an. Carolyn hastete an ihm vorbei, ohne auch
nur langsamer zu werden. Er drehte sich um, machte Anstalten, ihr zu folgen,
setzte dann aber achselzuckend seinen Weg fort.
    Als ich sicher war, daß der Mann seine
Meinung nicht wieder ändern und ihr nachgehen würde, ging ich zu meinem Wagen
und verschloß das olivgrüne Laken im Kofferraum. Dann blickte ich die Eddy
Street bis zur Ecke entlang. Da gab es ein Lebensmittelgeschäft, Tran’s Fine
Foods, und ich konnte den Münzfernsprecher gleich hinter der Tür sehen. Ich
ging hinüber, um drei alte Frauen in Schwarz herum, die aussahen, als wären sie
gerade aus der Kirche gekommen, wich einem blonden Mädchen in Shorts aus, das
dahinschlenderte. Ein Frühaufsteher für San Franciscos Gemeinde von
Drückebergern. Als ich am Telefon stand, stellte ich fest, daß ich kein
Kleingeld hatte, aber der verhutzelte Orientale hinter dem Tresen des Geschäfts
wechselte mir bereitwillig einen Dollar. Ich rief die Information der Marin County
an, erhielt Roy LaFonds Büronummer in San Rafael und wählte sie, um
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