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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme
Autoren: Léo Malet
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fing ich wieder von vorne an. Nur nicht mehr an diese Wörter denken! Arm,
Schulter... Es nützte nichts. Als Hélène Florimond Faroux meldete, war ich ganz
erleichtert. So weit war’s mit mir schon gekommen!
    Der Inspektor trat gutgelaunt ein. Sein
schokoladenbrauner Schlapphut saß noch schräger als gewöhnlich auf seinem...
Kopf.
    „Da ist ja der Unsichtbare!“ rief er lachend.
„Den ganzen Samstag bin ich hinter Ihnen hergerannt. Erst hab ich hier auf Sie
gewartet. Wissen Sie, wie ich mir die Zeit vertrieben habe? Ich hab Sherlock
Holmes gespielt! Wollte Ihnen beweisen, daß ich noch neugieriger sein kann als
Sie... Schicken Sie mir in Zukunft bitte keine anonymen Briefe, Burma! Oder
geben Sie sich wenigstens mehr Mühe!“
    Er zog meinen Brief aus der Tasche und erklärte
mir genüßlich, wie er mich entlarvt hatte.
    „In jeder freien Minute“, fuhr er dann fort,
„habe ich versucht, Sie zu erreichen. Wollte Sie zwingen, meinen Scharfsinn zu
bewundern! Ich hätte außerdem gerne gewußt, wie Sie soviel über diese Bourguet
rauskriegen konnten. Aber Sie waren wie vom Erdboden verschluckt... Na ja...“
Er machte eine großzügige Geste, in der Hand seinen Tabaksbeutel. „Das ist
jetzt alles nicht mehr so furchtbar wichtig.“ Geschickt drehte er sich eine
seiner krummen Zigaretten. „Wir wissen jetzt, wer Barton umgebracht hat.“
    „Ja“, flüsterte ich.
    „Der Gerechtigkeit ist Genüge getan.“
    Ich nickte stumm.
    „Sie haben doch sicher Zeitung gelesen?“ fragte
er.
    „Ja.“
    „Wer hätte das gedacht! Lange genug haben wir ja
gebraucht, bis wir ihn hatten... So’n gerissener Kerl!“
    „Wer?“
    „Verdammt nochmal!“ brüllte Faroux. „Sie müssen
gestern ja ganz schön gesoffen haben, so wie Sie aus der Wäsche gucken! Saufen
macht dumm, Burma! Sie kapieren doch sonst so schnell... Wer gerissen sein
soll, fragen Sie? Na, Bartons Mörder!“
    „Bartons... Mörder?“
    „Ich dachte, Sie hätten Zeitung gelesen. Der
Kerl, der vom Dach gefallen ist! Samstag abend, ganz in der Nähe. Und wissen
Sie auch, wer das war? Ein alter Bekannter von uns, Fernand Gonin. Der
Gangster, der uns damals in Le Havre durch die Lappen gegangen ist. In seiner
Tasche haben wir die 7,65er Browning gefunden, mit der er seinen ehemaligen
Komplizen umgelegt hat. Es gibt da noch ‘n paar Fragen, aber eins steht fest:
Er war der Täter! Unser Verdacht gegen Madame Bourguet hat sich nicht
bestätigt. War übrigens auch nur so’ne Idee vom Chef...“
    Vor mir tat sich ein Abgrund auf. Wie vor Gaillard,
der vom Dach gerutscht war. Er war es, der den Revolver aus meinem Schreibtisch
genommen hatte. Ich Esel hatte Lydias Situation falsch eingeschätzt. Ihre
Karten waren gezinkt gewesen, aber sie hätte ein hervorragendes Spiel damit
machen können! Die Polizei hatte sie zu keinem Zeitpunkt verdächtigt. Jetzt war
sie tot, zerstückelt, gestorben durch meinen tragischen Irrtum!
    Ich war leichenblaß im Gesicht. Ganz langsam
stand ich auf, stürzte zuerst meine Unterarme auf die Schreibtischplatte, dann
meine Hände. Jeder Muskel in meinem Gesicht tat mir weh vor Anspannung. Die
Pfeife mit dem Stierkopf fiel auf die Schreibunterläge. Ich spuckte das Stück
aus, das ich vom Mundstück abgebissen hatte.
    Faroux starrte mich an, verwundert über die
Verwandlung, die vor seinen Augen mit mir vorging. In meinen Augen loderte Haß
auf diesen verdammten Flic. Wenn der am Samstagabend nicht in mein Büro
gekommen wär, um den ganz Schlauen zu spielen...
    „Raus!“ brüllte ich mit heiserer Stimme.
    „Aber... Mein lieber Bu... „
    „Raus hab ich gesagt! Moment... Das ist für
dich! Du hast es dir verdient!“
    Ich zog die Schublade auf, holte die verdreckten
Goldbarren raus und warf sie ihm an den Kopf. Von einem waren Dreck und Farbe
abgekratzt. Als er von einem Sonnenstrahl getroffen wurde, glänzte er golden.
    „Die Goldbarren!“ rief der Inspektor
fassungslos.
    „Ja, die Goldbarren.“ Ich lachte bitter. „Nimm
die verfluchten Dinger bloß mit! Später... später werd ich dir alles erklären.
Aber jetzt mach, daß du wegkommst!“
    Faroux war inzwischen genauso blaß im Gesicht
wie ich. Vor Erregung und auch ein wenig vor Angst, glaube ich. Eilig sammelte
er die Barren auf und rannte hinaus.
    Ich fiel auf meinen Sessel und vergrub mein
Gesicht in beiden Händen.
    Draußen vor dem offenen Fenster begrüßte ein
Vogel trällernd den Frühling. Wie ein Echo drang das frische Lachen eines
jungen Mädchens zu mir
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