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Nestor Burma in der Klemme

Nestor Burma in der Klemme

Titel: Nestor Burma in der Klemme
Autoren: Léo Malet
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Der Boden
vibrierte. Eine Tür schlug zu, wie von einem heftigen Windstoß bewegt. Oben im
Hausflur flogen klirrend Scheiben aus einem Fenster. Einige blaue Glassplitter
landeten vor unseren Füßen.
    „Scheint wirklich angebracht“, meldete ich mich
zu Wort.
    Zum ersten Mal in meinem Leben war ich einer
Meinung mit einem Flic.
    Zwei Frauen, eine alte und eine junge, saßen
bereits auf Seifenkisten in dem geräumigen, gut ausgeleuchteten
Luftschutzkeller. Die Alte brummte etwas vor sich hin. Die Junge hielt ihr in
ein Tuch gewickeltes Baby an die Brust gepreßt. Angst spiegelte sich in ihren
Augen wider. Das Baby nuckelte im Schlaf am Daumen.
    Wir machten es uns gemütlich, so gut es ging.
Viele waren wir nicht, ungefähr zehn. Dabei zählte das Klatschweib, das sich
eben so respektlos über den Vertreter des Gesetzes geäußert hatte, für zwei.
Sie schien den Flic nicht grade ins Herz geschlossen zu haben. Pausenlos
versorgte sie uns mit Anekdoten über ihn. Wenn man sie so hörte, mußte der Mann
das Schreckgespenst des Viertels sein. Ein Erbsenzähler, was Fahrradplaketten,
Rücklichter und ähnliches angehe. Und Bombenalarme seien seine Spezialität,
dabei könne er sich so richtig austoben. Na ja, das hätten wir grade miterlebt,
nicht wahr? Und sehr unkonventionell in seinen tyrannischen Methoden! Einmal
sei ihm jemand frech gekommen und daraufhin hätten er und ein Kollege (es
folgte ein kleiner Exkurs über den Kollegen mit witzigen Vergleichen aus dem
Tierreich) alle Anwesenden kontrolliert, im Luftschutzkeller, Männer wie
Frauen! Ja, so einer sei das... „Und wenn ich der Polizeipräsident wär…“
    Alle amüsierten sich köstlich. Oder fast alle.
Über uns ging der Tanz weiter. Der Lärm drang gedämpft in unsere Höhle, weshalb
einige Gesichter ernst blieben. Die Alte brummte immer noch vor sich hin, und
die Junge war auch nicht zum Lachen zu bringen. Genausowenig wie das junge
Mädchen, das es eben so eilig gehabt hatte. Unruhig ging die Kleine auf und ab
und sah nervös auf ihre Uhr. Dafür schob sie jedesmal ihren braunen Handschuh
vom Handgelenk. Neben der Treppe lehnte ein Kerl an der Wand. Man brauchte sich
nur sein Gesicht anzusehen, dann wußte man Bescheid: Ihm wäre es hundertmal
lieber gewesen, wenn die Bomben in einem fernen Land abgeworfen worden wären.
    Plötzlich erschütterte ein besonders starker
Stoß das Gebäude. Das Licht ging aus. Es wurde geflucht, eine Frau schrie auf.
    „Das galt uns“, stellte jemand mit tonloser
Stimme fest.
    „Sie bombardieren das Ministerium“, versuchte
ein anderer uns zu beruhigen.
    Klick. Das Licht ging wieder an.
    „Das... das war... gar nichts“, stotterte der
Blasse neben der Kellertreppe verlegen. „Ich... ich bi...bin nur an den
Lichtschalter gekommen.“
    Die Anwesenden atmeten auf. Solange es noch
Strom gab...
    Der Duft von hellem Tabak kitzelte meine Nase.
Ich sah mich um. Das unruhige junge Mädchen rauchte in aller Ruhe eine Fashion. Der Zigarettenlänge nach zu urteilen, hatte sie sie soeben angezündet. Das
mußte während des kurzen Stromausfalls geschehen sein, obwohl ich mich nicht
daran erinnern konnte, das Aufflammen eines Streichholzes oder eines Feuerzeugs
gesehen zu haben.

Möbliertes
Zimmer... mit Leiche
     
    Die folgenden Minuten kamen uns wie eine
Ewigkeit vor. Niemand sagte einen Ton. Die Klatschgeschichten der
Alleinunterhalterin waren vergessen. Die letzte Erschütterung hatte das Baby
aufgeweckt. Sein Geplärre war, außer der tröstenden Stimme der Mutter, das
einzige Geräusch in dem Luftschutzkeller. Das wütende Bellen der Flak war kaum
noch zu hören. Die Artillerie in der Nachbarschaft war verstummt. Die Gefahr
schien vorüber. Als wieder vollkommene Stille herrschte, ging ich nach oben.
Die beiden charakteristischen Heultöne einer Feuerwehrsirene waren das erste,
was ich hörte. Durch die Haustür sah ich gerade noch, wie die roten Leiterwagen
vorbeirasten.
    Die Straße lag so verlassen da wie am Morgen des
15. August. Nur der Flic lehnte gegen die Häuserwand und wartete auf
Entwarnung. In diesem Augenblick wurde die bedrückende Stille von dem
Sirenengeheul zerrissen, das das Ende des Bombenangriffs verkündete.
    „Gar nicht weit weg hat’s wohl ‘n Treffer
gegeben, hm?“ sagte ich.
    Der Polizist antwortete nicht. Er nahm seinen
Helm ab, befestigte ihn am Gürtel und rief seinen Gehilfen vom Zivilschutz, der
um die Ecke bog und auf uns zukam.
    „Zwei Bomben in der Rue Desnouettes“, stieß
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